Juni 2017

Olivier Dantine: Christlich geht anders, weil …

Solidarität mit den Verletzlichen, die Suche nach Gerechtigkeit und ein menschenwürdiges Leben für alle, das Bemühen um Frieden und um Bewahrung der Schöpfung und damit der Grundlage für das Leben der nächsten Generationen, das sind Maßstäbe für die christliche Verantwortung. Eine Politik, die sich auf das christliche Erbe unseres Landes beruft, muss sich daran messen lassen.

Es geht nicht darum, „mit der Bergpredigt Politik zu machen“, also aus der Bibel direkt Handlungsanweisungen für die Politik abzuleiten. Politik muss sich bemühen, zwischen den unterschiedlichen Interessen in der Gesellschaft einen verantwortungsvollen Ausgleich zu finden. Und doch müssen in diesem Suchen des Ausgleichs klare Grenzen gesetzt werden. Diese Grenze ist dort überschritten, wo Leben in Würde gefährdet ist. Christlich geht anders, weil sich die Qualität des Zusammenlebens in der Gesellschaft am Umgang mit den Schwächsten entscheidet.

Mag. Olivier Dantine
Superintendent

www.sichtbar-evangelisch.at

Erzbischof Lackner und Kath. Aktion Salzburg: Christlich geht anders, weil …

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„In welcher Gesellschaft wollen wir leben?“, das ist die Frage, die sich die InitiatorInnen – darunter viele Ordensleute – von „Christlich geht anders“ stellen. Derzeit werde in Österreich immer mehr auf dem Rücken von Mindestsicherungs-Beziehern, Flüchtlingen sowie Arbeits- und Obdachlosen Politik gemacht, mit Sündenbock- und Spaltungsmechanismen sowie einer Verrohung der Sprache. Der Franziskaner und Erzbischof von Salzburg Franz Lackner unterstützt mit seiner Unterschrift die „Solidarischen Antworten auf die Soziale Frage“.

Mit der Kampagne „Christlich geht anders! Solidarische Antworten auf die Soziale Frage“ weisen die Frauen- und Männerorden, die Katholische Sozialakademie und die Katholische Aktion (KA), aber auch Theologinnen und Theologen sowie Vertreter der evangelischen Kirche bis hin zu Vertretern der orthodoxen Kirchen auf eine „gesellschaftliche Polarisierung durch wachsende Ungleichheit“ hin. Als Erstunterzeichner haben Abtpräseses Christian Haidinger und Präsidentin Sr. Beatrix Mayrhofer unterzeichnet. Jetzt hat auch Erzbischof Franz Lackner unterschrieben, denn „christliche Werte zählen auch heute in der Politik. Das Sozialwort der Kirchen muss immer wieder neu in den politischen Alltag übersetzt werden. Ich unterstütze daher die Haltung von ,Christlich geht anders‘, die auch von der KA Salzburg unterstützt wird.“

Auf die Seite der Ausgegrenzten stellen

Die Katholische Aktion der Erzdiözese Salzburg hat nun die Initiative gegen die Entsolidarisierung in der politischen Debatte zu ihrem Anliegen gemacht. Dabei müssen wir Konflikte mit angeblichen Rettern des christlichen Abendlandes austragen, uns auf die Seite der Ausgegrenzten stellen und uns an Papst Franziskus halten, sagt KA-Präsidentin Elisabeth Mayer: „Mir ist eine verbeulte Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straße hinausgegangen ist, lieber als eine Kirche, die auf Grund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist“, schreibt der Papst in „Evangelii Gaudium“ über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute.

Regina Augustin und Esther Handschin: Christlich geht anders, weil …

… wir uns als Christinnen nicht vereinnahmen lassen. Als ökumenisch engagierte Frauen treten wir ein für eine christliche Vielfalt und damit für die Vielfalt in der Gesellschaft.

Christlich geht anders, weil wir als Christinnen das Evangelium im Alltag leben. Dazu gehört die Solidarität mit sozial Benachteiligten, mit Flüchtlingen, mit Armutsgefährdeten, mit Menschen mit Beeinträchtigungen, mit Menschen, deren Religionsfreiheit geschmälert wird.

Christlich geht anders, weil wir als Christinnen eine Hoffnung haben und uns keine Ängste und Verunsicherungen einreden lassen.

Dr.in Regina Augustin und Pastorin Mag. Esther Handschin
Nationalkoordinatorinnen des Ökumenischen Forums Christlicher Frauen in Österreich

www.frauenoekumene.at

Michael Willam: Christlich geht anders, weil …

Ich habe mich dieser Kampagne angeschlossen, weil ich der tiefen Überzeugung bin, dass Christsein ohne eine solidarische Haltung gegenüber den Schwachen, gegenüber jenen am Rande der Gesellschaft, gegenüber jenen Menschen, die geflüchtet, gescheitert oder zu kurz gekommen sind im Leben seinen innersten Kern und letztlich seine Legitimation verliert.

Menschen, die solidarisch sind, treten füreinander ein und helfen einander. Solidarisch sein mit anderen heißt zunächst das Gefühl zu haben, dass man zusammengehört. Man spürt eine Verbundenheit, ein Verständnis und ein Wohlwollen füreinander. Solidarische Antworten auf soziale Probleme und Herausforderungen orientieren sich an diesen Haltungen und Gefühlen.

In solidarischer Verbundenheit  gegenüber den Schwachen in einer Gesellschaft zu leben und für diese Menschen einzutreten ist keine Fleißaufgabe für uns Christinnen und Christen und kein Steckenpferd für unverbesserliche Linkskatholiken. So zu leben ist ein unmissverständlicher Auftrag, der uns allen aus der Mitte des Evangeliums erwächst! Als Christ fühle ich mich verpflichtet, für die Schwachen, für die Menschen am Rande Partei zu ergreifen, einzutreten und entsprechend aufzutreten.

„Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen.

Dann werden ihm die Gerechten antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben, oder durstig und dir zu trinken gegeben?

Und wann haben wir dich fremd und obdachlos gesehen und aufgenommen, oder nackt und dir Kleidung gegeben?

Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt. 35-40)

Michael Willam
EthikCenter Katholische Kirche Vorarlberg
http://www.ethikcenter.at

Bert Brandstetter: Christlich geht anders, weil …

Wie geht christlich eigentlich?

Früher war alles ganz einfach. Da hat gegolten, was im Katechismus gestanden ist und was der Pfarrer gesagt hat und damit war das Thema erledigt. Dort, wo es sich nicht ausgegangen ist, war der Beichtstuhl der Ort, wo alles wieder ins rechte Lot kam. Die Kirche war für das Leben zuständig. Sie regelte alles: vom ehelichen Schlafzimmer bis zur Bauernarbeit am Sonntag.

Ich erinnere mich noch gut, wie in den 1950-er Jahren der Pfarrer von der Kanzel die Heuarbeit wegen einer drohenden Schlechtwetterfront genehmigte. Wer all die Regeln, sprich die 10 Gebote befolgte, war christlich. Das hat sich seither geändert. Grundlegend. Was ist heute noch christlich? Nicht einmal der gestrichene Besuch des Sonntagsgottesdienstes macht noch schlechtes Gewissen. Sex vor der Ehe auch nicht und überhaupt: selbst übelste Finanz-Tricksereien gelten bestenfalls als Kavaliersdelikt, aber doch nicht als Sünde, frei nach der Devise: Religion schön und gut, aber wie ich mein Leben gestalte, geht sie und die Pfarrer aber wirklich nichts an. Wie geht also christlich heute?

Stellung beziehen

Katholische und Evangelische Organisationen haben darüber nachgedacht und in der Solidarität von Christenmenschen gegenüber Armen und Benachteiligten einen gemeinsamen Nenner gefunden. Oder etwas genauer: diese christlichen Vertreter wollen zur aktuellen gesellschaftlichen Lage Stellung beziehen, „insbesondere zu den bedrückendsten Problemen wie steigende Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung, wachsende Armut und die Not geflüchteter Menschen.“

Die für heuer angekündigte Kampagne möchte sich politisch „engagieren gegen eine weitere Aushöhlung des Sozialstaats, insbesondere auf Kosten der Schwächsten, die – im Fall von Flüchtlingen – nicht einmal ein Stimmrecht haben und daher von einer vermeintlich „volksnahen“ Politik ignoriert oder sogar zum Feindbild gemacht werden können.“ Oft gehörte Positionen wie „Jeder ist seines Glückes Schmied“, „der Tüchtige schafft es“, „Raus aus der sozialen Hängematte“, wären damit als klar unchristlich abgestempelt, weil die Organisatoren der Kampagne feststellen: „Seit diese Haltungen die Politik prägen, haben Ungleichheit, soziale Ausgrenzung, Armut, und die Segmentierung der Gesellschaft immer mehr zugenommen.“

Eine klar soziale Positionierung also als Ausdruck der Christlichkeit. Ist das aber alles, mag der irritierte Christ fragen, der sich vielleicht der anderen ehemals christlichen Gebote erinnert. Soziales gut und recht, selbst wenn Papst Franziskus Ungerechtigkeiten dieser Art gern in den Mund nimmt: aber liegt hier nicht eine Verkürzung vor? Ist christlich nicht doch noch vieles mehr?

Für eine friedliche und freiheitliche und sozial gerechte Weltordnung

Mir fällt genau jetzt ein bedenkenwertes Buch des ehemaligen CDU-Politikers Heiner Geißler in die Hände. Der ehemalige Jesuiten-Novize und spätere Minister outet sich durchaus mutig als ein Zweifelnder und auch er denkt über das Christsein nach. (Heiner Geißler: „Kann man noch Christ sei, wenn man an Gott zweifeln muss? Fragen zum Luther-Jahr“. Ullstein.Verlag, Berlin 2017). In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte er: „Wir leben in einer Welt, die nicht beherrscht wird von christlichen Werten, sondern von unchristlichen, von kapitalistischen Werten. Das Geld ist das Entscheidende. Geiz, Geld, Gier beherrschen die Welt. Und das ist natürlich das Gegenteil von dem, was Jesus gesagt hat. Und weil die Kirchen gespalten sind, wie sich die Kirchen zurückziehen, weil sie ein Inzuchtdasein führen, anstatt dass sie die politische Dimension des Evangeliums erkennen und ihren Beitrag leisten, so wie das vor 60 Jahren mit der sozialen Marktwirtschaft der Fall gewesen ist, für eine friedliche und freiheitliche und sozial gerechte Weltordnung, da fehlt das Konzept der Kirchen. Und das werden sie nur durchsetzen können, wenn sie sich nun endlich wieder einigen und nicht sich gegenseitig bekämpfen.“ Recht hat er, der alte Kämpfer, denke ich mir.

Dafür unterschreiben, dass christlich anders geht

Ich war über Pfingsten mit einem Teil meiner großen Familie in Rom. Dort zeigt sich eine Kirche, die wohl imposant, gewaltig und gigantisch ist. Die Kirche ist viele Wege gegangen in ihren 2000 Jahren. Auch die fantastischen Bauten sind Ausdruck dessen, dass ein großer Gott jede Kunst und jeden Preis wert ist. Aber ist das die Kirche, die sich Jesus vorgestellt hat? Gerade in diesem offensichtlichen Widerspruch zwischen ureigenstem christlichen Anspruch des gegenseitigen Annehmens, vielleicht auch Ertragens, jedenfalls nicht Bekämpfens und dem, was man in Rom, dem Herz der katholischen Christenheit zu sehen bekommt, wird mir klar, dass „Christlich geht anders“ auch in dieser Beziehung recht gescheit ist. Es braucht nicht viel mehr als das, was man Liebe nennt, um auf dem rechten Weg zu sein. Gemeinsam mit ökumenisch orientierten Christen dafür zu unterschreiben, dass christlich in Wirklichkeit anders geht als das, was lange Zeit üblich war, ist auch in diesem Sinn ein schönes Zeichen, finde ich. Weil es immer noch besser ist, vielleicht ein Detail konkret zu benennen und zu verbessern zu versuchen, als gar nichts zu tun und den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen.

Bert Brandstetter
Präsident der Katholischen Aktion Oberösterreich

Der Beitrag ist zuerst erschienen in:
Blickpunkt. Stadtpfarre Bad Ischl. Folge 3, Sommer 2017

Sozialstaat und Menschenrechte

Theologin Holztrattner und Wirtschaftsforscher Schulmeister präsentierten neue Initiative „Christlich geht anders“, die solidarische Antworten auf die soziale Frage sucht.

Ein klares Bekenntnis zu einem gut ausgebauten Sozialstaat gaben am 20.6.2017 beim ksoe-Frühstück in Kooperation mit den Jesuiten Österreichs in Wien VertreterInnen der Initiative „Christlich geht anders. Solidarische Antworten auf die soziale Frage“ ab. Magdalena Holztrattner, Leiterin der ksoe (Kath. Sozialakademie Österreichs): „Uns eint das Bekenntnis zum Sozialstaat und zu den Menschenrechten.“ Erinnert wurde daran, dass das Ökumenische Sozialwort einen aktiven und gut ausgebauten Sozialstaat einfordert.

In Hinblick auf den laufenden Wahlkampf sagte die Theologin: Die Politik müsse die Ängste der Menschen von heute ernst nehmen, sie dürfe diese aber nicht schüren. Holztrattner zitierte auch P. Franz Helm, den Generalsekretär der Ordensgemeinschaften Österreich, einem prononcierten Vertreter der Initiative „Christlich geht anders“:  Es gehe darum, „mit den sechs Punkten der Initiative in der Hand“ mit möglichst vielen Menschen ins Gespräch zu kommen.

Der Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister, der die Initiative ebenfalls unterstützt, sagte, dass die neoliberale „Gesellschaftsphilosophie“, wie sie seit Jahrzehnten den Ton angibt, in diametralem Gegensatz zu christlichen Überzeugungen stehe. Denn sie nimmt an, dass Menschen nur eigennützige Wesen sind, deren Egoismus durch eine „unsichtbare Hand des Markts“ ins allgemeine Beste verwandelt würde. Ein solches Denken führe unweigerlich zu einer Entmündigung von Menschen und zu einer Entmoralisierung. Selbst die demokratisch legitimierte Politik müsse sich „den Märkten“– damit sind die Finanzmärkte gemeint –  unterwerfen.

Schulmeister erinnerte an die österreichische und europäische Tradition der sozialen Marktwirtschaft, in der die Gegensätze von Kooperation und Konkurrenz, wie die von Eigennutz und institutioneller Sicherheit (d.h. Sozialstaat) ausbalanciert worden sind. Angesichts wachsender Unzufriedenheit, Ungleichheit und Armut müsse weiter an einem stabilen Wirtschaftspfad und am Sozialstaat gebaut werden, so Schulmeister.

www.christlichgehtanders.at/unterschreiben/

 

 

Franz Helm: Christlich geht anders, weil …

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Ich unterstütze die Initiative „Christlich geht anders“, weil ich für unser Land eine Politik möchte, die die Bezeichnung „christlich“ wirklich verdient. Es geht mir um eine Politik, die einen solidarischen Fokus legt auf Menschen am Rand und Situationen, wo das Leben unter die Räder kommt:

Flüchtlinge, sozial Benachteiligte, armutsgefährdete Kinder und Alleinerziehende, Frauen, Klimawandel, Artensterben … Ich finde es wichtig, gegen die zunehmende Polarisierung in der Gesellschaft und das Gegeneinander-Ausspielen von Randgruppen und sozial Schwachen aufzutreten, weil das derzeit zur politischen Unkultur in unserem Land wird, und weil das zutiefst unchristliche Haltungen sind. Ich wünsche mir eine Politik, die eintritt für Inklusion, für weltweite Gerechtigkeit und Solidarität und für die Bewahrung der Schöpfung.

Zugleich bin ich überzeugt: Von einer „Über-Entwicklung“ müssen wir hinfinden zu einem einfacheren Leben. Für eine Zukunft in Frieden und Würde für möglichst alle Menschen braucht es ein WENIGER bei denen, die zu viel haben, eine UMVERTEILUNG von den Profiteuren hin zu den Benachteiligten. Darüber hinaus ist mir als Geistlicher Assistent der KFBÖ wichtig: Die derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklungen gehen ganz stark auf Kosten von Frauen, die mehr als Männer vom Prekariat betroffen sind, weniger Beteiligungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten haben, mehr ausgebeutet werden und im Alter weniger Pension bekommen.

Unsere Gesellschaft honoriert viel zu wenig die verschiedenen Formen von Carearbeit, wie Kindererziehung und Pflege, die vornehmlich von Frauen geleistet werden. Es braucht eine Politik zur Anerkennung und Förderung der gleichen Rechte, der Beteiligung und der Mitbestimmung von Frauen. Schließlich ist mir noch wichtig, dass in Anerkennung der Menschenrechte und der gleichen Würde aller Menschen auf der Welt nicht nur von „Hilfe vor Ort“ geredet wird, wenn es um Migrationsströme und Entwicklungszusammenarbeit geht, sondern dass auch entsprechend Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden.

Wir brauchen eine Weltwirtschaftsordnung, die nicht zum Nachteil der wirtschaftlichen Entwicklung der ärmsten Länder ist, sondern sie im Gegenteil fördert.

P. Dr. Franz Helm SVD
Generalsekretär der Superiorenkonferenz
Ordensgemeinschaften Österreichs
www.ordensgemeinschaften.at

Soziale Gerechtigkeit ins Zentrum der Gesellschaft rücken

Diskussionsabend zur Initiative „Christlich geht anders“ im Rahmen der Langen Nacht der Kirchen im „Quo Vadis“ in Wien – P. Helm für breiten Diskurs über Inhalte christlicher Politik
Wien, 10.06.2017 (KAP) Politik, „die den Namen christlich wirklich verdient“, stand bei der Langen Nacht der Kirchen im Mittelpunkt einer Veranstaltung im Ordenszentrum „Quo Vadis“. Zum Thema „Christlich geht anders. Solidarische Antworten auf die soziale Frage“ diskutierten am Freitagabend Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister, P. Franz Helm, Generalsekretär der Superiorenkonferenz der männlichen Ordensgemeinschaften Österreichs und Vera Hofbauer, ehemalige ehrenamtliche Vorsitzender der Katholischen Jugend (KJ). Ziel der dahinterstehenden Initiative „Christlich geht anders“ ist es, soziale Gerechtigkeit ins Zentrum der gesellschaftspolitischen Debatten zu rücken.

„Unser Traum ist es, dass Menschen mit dem den sechs Grundpositionen der Initiative in der Hand miteinander ins Gespräch kommen und sich darüber austauschen, wie eine christliche Politik wirklich ausschaut“, so Helm. Politische Bewusstseinsbildung sollte dort anfangen, „wo wir zu Hause sind, in unseren Familien, Pfarrgemeinden oder in der Nachbarschaft“. Helm kritisierte jene politischen Strömungen, „die als die großen Verteidiger des christlichen Abendlandes auftreten, dann aber aushöhlen, was wirklich christlich ist, in dem sie unsolidarisch auftreten, Menschen gegeneinander ausspielen und Feindbilder schaffen, nur um politisch davon zu profitieren“. Es gehe um eine Politik, „die den Namen christlich wirklich verdient“.

Kritik kam am im „Quo vadis“ auch an der von der oberösterreichischen Landesregierung beschlossenen Deckelung der Mindestsicherung. Notleidenden auch noch vom Existenzminimum etwas zu streichen, hielt der Wirtschaftsforscher Schulmeister für „einen Witz“. Ein „linkes Programm“ sei die Initiative nicht, sondern eine „Art Defensivfront quer zu allen traditionellen Lager, die in unserem Fall nicht nur aber sehr stark von christlicher Motivation getragen ist“. Der gemeinsame Nenner aller Beteiligten sei das Bekenntnis zum Sozialstaat, „der in den letzten Jahren immer mehr ausgehöhlt wird“.

Von der Initiative erwarte er sich „sehr viel“, denn anders als bei einem Volksbegehren steuere diese nicht auf einen Höhepunkt zu und flache dann wieder ab, sondern könne langsam aber kontinuierlich weiterwachsen. Es gehe nicht darum, „seitenlange Ergüsse zu verfassen“, sondern sich im Namen der Initiative immer wieder kurz und prägnant zu aktuellen politischen Themen zu Wort zu melden. Eine Gesellschaft, in der jeder nur nach seinem eigenen Vorteil trachte, sei keine denkbare Alternative, so Schulmeister, der die aktuell vorherrschenden Wirtschaftstheorien kritisierte, zumal die propagierte Marktfreiheit in Kombination mit „knallhartem Egoismus“ nicht aus der Krise führen könne. Im Blick auf Initiativen wie „Christlich geht anders“ zeigte sich Schulmeister überzeugt, „dass 70 bis 80 Prozent der Österreicher hinter den Kernforderungen stehen, würde man sie nur direkt fragen“.

Ein klares Bekenntnis legte der Ökonom auch zu einer Vermögenssteuer ab. Nettovermögen ab rund 100.000 Euro sollten mit 0,5 Prozent besteuert werden, „das tut den Reichen nicht weh“. Fakt sei, dass es immer wieder Vermögende gäbe, die freiwillig spenden, „aber wir brauchen hier einen Hebel, der gesetzlich greift“, denn, „wenn das nicht politisch erzwungen wird, wird es immer viele geben, die es einfach nicht tun“.

Den Ansporn der Katholischen Jugend sich an der Initiative zu beteiligten, legte Vera Hofbauer dar. „Wir wollen Jugendliche für globale Zusammenhänge und gesellschaftliche Vorgänge sensibilisieren und sie zu sozialem, politischem Engagement ermutigen.“ Das Bibelwort „Ihr seid das Salz der Erde“ sei zugleich Auftrag, der „mit Leben gefüllt werden muss“. Als Rückendeckung dafür verstehe die KJ die Aussagen von Papst Franziskus beim letzjährigen Weltjugendtag in Krakau, der die Jugendlichen dazu aufrief, hinauszugehen und die Welt zu gestalten.

Ökumenische Initiative

Den Grundtext zur Initiative haben bereits im Herbst des Vorjahrs rund 100 Erstunterzeichner unterschrieben, darunter u.a. ÖRKÖ-Vorsitzender Landessuperintendent Thomas Hennefeld, der serbische Bischof Andrej Cilerdzic, die Präsidentin der Katholischen Aktion, Gerda Schaffelhofer, zahlreiche Professorinnen und Professoren der Theologischen Fakultäten oder auch die Spitzenvertreter der heimischen Ordensgemeinschaften, Abtpräses Christian Haidinger und Sr. Beatrix Mayrhofer.

Der Inhalt des Grundtextes ist wesentlich vom Ökumenischen Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) aus dem Jahr 2003 inspiriert, aber auch vom Projekt „Solidarische Gemeinde“, in dem die Ergebnisse des Prozesses „sozialwort 10+“ im Jahr 2013 zusammengefasst wurden. Koordiniert wird die Initiative von der Katholischen Sozialakademie (ksoe).

(Infos: „www.christlichgehtanders.at)

Christian Leonfellner: Christlich geht anders, weil …

Christlich zu sein heißt, sich einzumischen, wenn Menschen unter Druck geraten, wenn ein würdiges, selbstbestimmtes Leben nicht möglich ist.

Die Leistungen unseres Sozialstaates ermöglichen allen, schwierige Zeiten zu durchtauchen und verhindern ein unwiderrufliches Unter-die-Räder-kommen. Diesen solidarischen Gedanken eines guten Miteinanders sehe ich aktuell immer weiter in den Hintergrund gedrängt. Die politische Entscheidung, die Mindestsicherung zu kürzen oder die Einsparungen im Bereich für Menschen mit Behinderung in Oberösterreich sind für mich Schritte in eine Richtung, die den sozialen Frieden gefährden. Durch den anstehenden Wahlkampf kommen aus taktischen Gründen möglicherweise noch weitere „Grauslichkeiten“ auf uns zu.

Ich stehe zu einem Christsein im Sinne von Papst Franziskus, der in seiner Enzyklika EVANGELII GAUDIUM vielfach auf das Problem der Armut und der ungerechten Verteilung der Güter eingeht und ein Umdenken fordert.

Christian Leonfellner, Vorsitzender der KAB OÖ

Martin Schenk: Der autoritäre Pfad

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Der autoritäre Pfad ist ein Lernprogramm aus Ungarn, Polen und auch anderswo. Der erste Schritt besteht darin gegen Minderheiten zu mobilisieren. Das können Flüchtlinge sein, oder Roma, jedenfalls Gruppen, die sich gut eignen zu den „Anderen“ gemacht zu werden. „Othering“ nennt diesen Vorgang die Forschung. Das Böse kommt von außen, das ist die Grundfigur. Im Schritt Zwei werden Armutsbetroffene schikaniert. Obdachlose in  Budapest, Mindestsicherung hier, Arbeitslose dort. Für diejenigen ganz unten auf der sozialen Leiter werden soziale Grundrechte außer Kraft gesetzt oder bewusst umgangen. Schritt Drei auf dem autoritären Pfad heißt Demonstrationsrecht einschränken und Höchstgerichte aushebeln. Das kennen wir aus Polen, aber auch aus Spanien nach den Protesten gegen Sozialeinschnitte in Folge der Finanzkrise. Der nächste Schritt Nummer Vier nimmt die NGOs und Zivilgesellschaft ins Visier und versucht sie zu denunzieren und zu schwächen. Das ist ein durchgehendes Muster aus Polen, Ungarn, Russland oder der Türkei. Im fünften Schritt werden dann kritische Journalist_innen unter Druck gesetzt.

Der autoritäre Pfad ist ein Lernprogramm aus Ungarn, Polen und anderswo. Auch hierzulande haben sich schon einige auf den Weg gemacht. Wir bekämpfen nicht die Armut sondern die Armen. Wir bekämpfen nicht die Obdachlosigkeit, sondern die Obdachlosen. Wir bekämpfen nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die Arbeitslosen. Wir bekämpfen nicht das Ertrinken, sondern die Lebensretter. Wir bekämpfen nicht die Missstände, sondern die Zivilgesellschaft, die sie aufdeckt. Wir bekämpfen nicht autoritäre Tendenzen, sondern die Grundrechte.

Wer den autoritären Pfad betritt, trampelt pluralistische Wahrnehmung zur Seite, versucht sich unserer Sinne zu bemächtigen und alles als „normal“ darzustellen. „Jeder Schritt war so winzig, so belanglos, so plausibel gerechtfertigt oder gelegentlich auch ›bereut‹, dass auf täglicher Basis niemand verstand, was das Ganze im Prinzip bedeuten sollte, und wohin all diese ›winzigen Maßnahmen‹ eines Tages führen würden. Auf täglicher Basis verstand es keiner, genau so wenig wie ein Bauer in seinem Feld sein Getreide von einem Tag auf den nächsten wachsen sieht. Jede Handlung ist aber schlimmer als die letzte, doch nur ein wenig schlimmer. Du wartest auf das ganz große schockierende Ereignis und denkst, dass die Anderen dich bei deinem Widerstand irgendwie unterstützen werden, wenn solch ein Schock kommt.“ Das schrieb Milton Mayer in seiner Studie über Erfahrungen von Leuten der 1930er Jahre in Deutschland. Und weiter: „Die äußerlichen Formen sind alle vorhanden, alle unberührt, alle beruhigend: die Häuser, die Geschäfte, die Mahlzeiten, die Besuche, die Konzerte, das Kino, die Ferien. Aber der Geist, den du niemals bemerkt hast, weil du ein Leben lang den Fehler gemacht hast, dich mit den äußerlichen Formen zu identifizieren, hat sich verändert. Nun lebst du in einer Welt bestehend aus Hass und Furcht, und die Leute, die hassen und fürchten, wissen nicht einmal selbst, dass, wenn jeder transformiert ist, keiner transformiert ist. Du hast Dinge akzeptiert, die du vor fünf Jahren nicht akzeptiert hättest; oder vor einem Jahr.“

Martin Schenk-Mair, Diakonie Österreich
Stv. Direktor, Grundlagenreferat – Sozialpolitik

Dieser Artikel erschien in der Strassenzeitung „Augustin“