Juni 22, 2017

Michael Willam: Christlich geht anders, weil …

Ich habe mich dieser Kampagne angeschlossen, weil ich der tiefen Überzeugung bin, dass Christsein ohne eine solidarische Haltung gegenüber den Schwachen, gegenüber jenen am Rande der Gesellschaft, gegenüber jenen Menschen, die geflüchtet, gescheitert oder zu kurz gekommen sind im Leben seinen innersten Kern und letztlich seine Legitimation verliert.

Menschen, die solidarisch sind, treten füreinander ein und helfen einander. Solidarisch sein mit anderen heißt zunächst das Gefühl zu haben, dass man zusammengehört. Man spürt eine Verbundenheit, ein Verständnis und ein Wohlwollen füreinander. Solidarische Antworten auf soziale Probleme und Herausforderungen orientieren sich an diesen Haltungen und Gefühlen.

In solidarischer Verbundenheit  gegenüber den Schwachen in einer Gesellschaft zu leben und für diese Menschen einzutreten ist keine Fleißaufgabe für uns Christinnen und Christen und kein Steckenpferd für unverbesserliche Linkskatholiken. So zu leben ist ein unmissverständlicher Auftrag, der uns allen aus der Mitte des Evangeliums erwächst! Als Christ fühle ich mich verpflichtet, für die Schwachen, für die Menschen am Rande Partei zu ergreifen, einzutreten und entsprechend aufzutreten.

„Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen.

Dann werden ihm die Gerechten antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben, oder durstig und dir zu trinken gegeben?

Und wann haben wir dich fremd und obdachlos gesehen und aufgenommen, oder nackt und dir Kleidung gegeben?

Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt. 35-40)

Michael Willam
EthikCenter Katholische Kirche Vorarlberg
http://www.ethikcenter.at

Bert Brandstetter: Christlich geht anders, weil …

Wie geht christlich eigentlich?

Früher war alles ganz einfach. Da hat gegolten, was im Katechismus gestanden ist und was der Pfarrer gesagt hat und damit war das Thema erledigt. Dort, wo es sich nicht ausgegangen ist, war der Beichtstuhl der Ort, wo alles wieder ins rechte Lot kam. Die Kirche war für das Leben zuständig. Sie regelte alles: vom ehelichen Schlafzimmer bis zur Bauernarbeit am Sonntag.

Ich erinnere mich noch gut, wie in den 1950-er Jahren der Pfarrer von der Kanzel die Heuarbeit wegen einer drohenden Schlechtwetterfront genehmigte. Wer all die Regeln, sprich die 10 Gebote befolgte, war christlich. Das hat sich seither geändert. Grundlegend. Was ist heute noch christlich? Nicht einmal der gestrichene Besuch des Sonntagsgottesdienstes macht noch schlechtes Gewissen. Sex vor der Ehe auch nicht und überhaupt: selbst übelste Finanz-Tricksereien gelten bestenfalls als Kavaliersdelikt, aber doch nicht als Sünde, frei nach der Devise: Religion schön und gut, aber wie ich mein Leben gestalte, geht sie und die Pfarrer aber wirklich nichts an. Wie geht also christlich heute?

Stellung beziehen

Katholische und Evangelische Organisationen haben darüber nachgedacht und in der Solidarität von Christenmenschen gegenüber Armen und Benachteiligten einen gemeinsamen Nenner gefunden. Oder etwas genauer: diese christlichen Vertreter wollen zur aktuellen gesellschaftlichen Lage Stellung beziehen, „insbesondere zu den bedrückendsten Problemen wie steigende Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung, wachsende Armut und die Not geflüchteter Menschen.“

Die für heuer angekündigte Kampagne möchte sich politisch „engagieren gegen eine weitere Aushöhlung des Sozialstaats, insbesondere auf Kosten der Schwächsten, die – im Fall von Flüchtlingen – nicht einmal ein Stimmrecht haben und daher von einer vermeintlich „volksnahen“ Politik ignoriert oder sogar zum Feindbild gemacht werden können.“ Oft gehörte Positionen wie „Jeder ist seines Glückes Schmied“, „der Tüchtige schafft es“, „Raus aus der sozialen Hängematte“, wären damit als klar unchristlich abgestempelt, weil die Organisatoren der Kampagne feststellen: „Seit diese Haltungen die Politik prägen, haben Ungleichheit, soziale Ausgrenzung, Armut, und die Segmentierung der Gesellschaft immer mehr zugenommen.“

Eine klar soziale Positionierung also als Ausdruck der Christlichkeit. Ist das aber alles, mag der irritierte Christ fragen, der sich vielleicht der anderen ehemals christlichen Gebote erinnert. Soziales gut und recht, selbst wenn Papst Franziskus Ungerechtigkeiten dieser Art gern in den Mund nimmt: aber liegt hier nicht eine Verkürzung vor? Ist christlich nicht doch noch vieles mehr?

Für eine friedliche und freiheitliche und sozial gerechte Weltordnung

Mir fällt genau jetzt ein bedenkenwertes Buch des ehemaligen CDU-Politikers Heiner Geißler in die Hände. Der ehemalige Jesuiten-Novize und spätere Minister outet sich durchaus mutig als ein Zweifelnder und auch er denkt über das Christsein nach. (Heiner Geißler: „Kann man noch Christ sei, wenn man an Gott zweifeln muss? Fragen zum Luther-Jahr“. Ullstein.Verlag, Berlin 2017). In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte er: „Wir leben in einer Welt, die nicht beherrscht wird von christlichen Werten, sondern von unchristlichen, von kapitalistischen Werten. Das Geld ist das Entscheidende. Geiz, Geld, Gier beherrschen die Welt. Und das ist natürlich das Gegenteil von dem, was Jesus gesagt hat. Und weil die Kirchen gespalten sind, wie sich die Kirchen zurückziehen, weil sie ein Inzuchtdasein führen, anstatt dass sie die politische Dimension des Evangeliums erkennen und ihren Beitrag leisten, so wie das vor 60 Jahren mit der sozialen Marktwirtschaft der Fall gewesen ist, für eine friedliche und freiheitliche und sozial gerechte Weltordnung, da fehlt das Konzept der Kirchen. Und das werden sie nur durchsetzen können, wenn sie sich nun endlich wieder einigen und nicht sich gegenseitig bekämpfen.“ Recht hat er, der alte Kämpfer, denke ich mir.

Dafür unterschreiben, dass christlich anders geht

Ich war über Pfingsten mit einem Teil meiner großen Familie in Rom. Dort zeigt sich eine Kirche, die wohl imposant, gewaltig und gigantisch ist. Die Kirche ist viele Wege gegangen in ihren 2000 Jahren. Auch die fantastischen Bauten sind Ausdruck dessen, dass ein großer Gott jede Kunst und jeden Preis wert ist. Aber ist das die Kirche, die sich Jesus vorgestellt hat? Gerade in diesem offensichtlichen Widerspruch zwischen ureigenstem christlichen Anspruch des gegenseitigen Annehmens, vielleicht auch Ertragens, jedenfalls nicht Bekämpfens und dem, was man in Rom, dem Herz der katholischen Christenheit zu sehen bekommt, wird mir klar, dass „Christlich geht anders“ auch in dieser Beziehung recht gescheit ist. Es braucht nicht viel mehr als das, was man Liebe nennt, um auf dem rechten Weg zu sein. Gemeinsam mit ökumenisch orientierten Christen dafür zu unterschreiben, dass christlich in Wirklichkeit anders geht als das, was lange Zeit üblich war, ist auch in diesem Sinn ein schönes Zeichen, finde ich. Weil es immer noch besser ist, vielleicht ein Detail konkret zu benennen und zu verbessern zu versuchen, als gar nichts zu tun und den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen.

Bert Brandstetter
Präsident der Katholischen Aktion Oberösterreich

Der Beitrag ist zuerst erschienen in:
Blickpunkt. Stadtpfarre Bad Ischl. Folge 3, Sommer 2017