Erinnert sich noch jemand daran, dass die ehrwürdige Industriellenvereinigung dem damaligen Finanzminister Grasser unversteuert eine private homepage finanzierte? Hat noch jemand die Bilder vor Augen, als jener Finanzminister auf „Roadshows“ gegen Honorar die Aktienmärkte und die Privatisierung von Staatseigentum bewarb? Durch manche dieser undurchsichtigen Transaktionen wurden einige Personen sehr reich, der Staat aber um sein Vermögen gebracht.
Erinnert sich noch jemand daran, dass in den Boom Jahren an den Börsen den Gemeinden sogar vom Rechnungshof nahegelegt wurde, ihr Geld doch nicht auf Sparbüchern zu parken, sondern es am Kapitalmarkt „arbeiten“ zu lassen? Das ging in den Krisenjahren allerdings kräftig schief.
Man könnte also erwarten, dass sich politisch Verantwortliche damit befassen, wie sie dieses Durchschummeln einflussreicher Menschen in Zukunft verhindern können – aber das Gegenteil ist der Fall.
Wir sind jetzt wieder so weit, dass über die Vermögenden und gut Verdienenden der Schutzmantel ausgebreitet wird. Eigentum jener, die viel davon haben, wird heiliggesprochen. Von der sogenannten christlich- sozialen Partei ist kein Wort über die Sozialpflichtigkeit des Eigentums als Grundlage der christlichen Soziallehre zu hören. Erbschaftssteuer, Vermögenssteuer sind vom Tisch, die Reduktion der Unternehmenssteuern ist im Gespräch. Familien bekommen Steuerermäßigung pro Kind – allerdings nur dann im ganzen Ausmaß, wenn entsprechende Einkommen lukriert werden – Niedrigverdienende schauen durch die Finger.
Und dann wird der Begriff des „Durchschummelns“ völlig zweckentfremdet auf jene angewandt, die keine Spielräume für Vermögenstransfers in Steueroasen haben, die keine Gestaltungsmöglichkeit bei ihrer Steuerpflicht nutzen können und die auch keine Steuerberater beschäftigen können, die ihnen bei der legalen Steuervermeidung helfen.
Durchschummeln tun sich laut Definition unseres Bundeskanzlers jene Notstandshilfebezieher, die noch Eigentum besitzen und dennoch Unterstützung aus der Arbeitslosenversicherung bekommen. Sie sollen deshalb von der Arbeitslosenversicherung nahtlos in die Mindestsicherung fallen. Die Eigentumswohnung, die Ersparnisse eines langen Arbeitslebens, sollen bei den meist älteren und oft gesundheitlich beeinträchtigten Langzeitarbeitslosen zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts herangezogen werden, bevor sie die Mindestsicherung, die noch dazu reduziert werden soll, beziehen können.
Sofort melden sich Menschen zu Wort, die viele Leute kennen, die eigentlich arbeiten könnten, die Immobilien besitzen und alles in allem also „Sozialschmarotzer“ und „Durchschummler“ sind. Da kann das AMS noch so oft erklären, dass es sich dabei um eine verschwindende Minderheit handelt, das Märchen von den vielen, die Sozialbetrug begehen, ist nicht zu entkräften. Ich leugne ja gar nicht, dass es Menschen gibt, die das Sozialsystem überstrapazieren – warum sollen die ärmeren Menschen eigentlich die besseren Menschen sein? Aber im Vergleich zu den Durchschummlern auf der obersten Vermögens- und Einkommensstufe sind das wirklich Lappalien.
Verwunderlich ist für mich nur, wie leicht es Politikern gelingt, Aggressionen und Neidgefühle gegen Menschen am unteren Rand der Gesellschaft zu wecken und mit welcher Nonchalance steuerliche Tricksereien, Stiftungskonstruktionen, Kapitalflucht und gemessen am volkswirtschaftlichen Nutzen völlig unangemessene Gehälter und Gratifikationen hingenommen werden.
Die deutsche Journalistin Kathrin Hartmann spricht in diesem Zusammenhang von der „Verrohung des Bürgertums“. Abstiegsängste lassen viele Menschen nach einem Sündenbock suchen. Da sie sich aber als Zugehörige des Bürgertums fühlen, solidarisieren sie sich noch immer wesentlich leichter mit den „Reichen und Schönen“ als mit jenen, die noch gefährdeter sind als sie. Mitleidlos wird auf Langzeitarbeitslose, Migranten und Flüchtlinge herabgeschaut und ihnen die Destabilisierung des Sozialsystems angelastet. Die Profiteure dieses Systems sind dadurch aus dem Schneider und es schaut auch so aus, als hätten nur die allerwenigsten Medien Interesse daran, sich seriös mit der Ungleichheit in unseren Gesellschaften auseinanderzusetzen.
Ich plädiere deshalb dafür, dass zumindest wir Christinnen und Christen dieses Spiel der Verrohung breiter Schichten nicht länger mitspielen und uns unserer Wurzeln besinnen – unser Platz muss auf der Seite der Benachteiligten sein, wenn wir uns und unseren Glauben ernst nehmen.
Traude Novy, Bloggerin
25.1.2018