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Martin Obermeir-Siegrist: Christlich geht anders, weil …

… nicht die Herkunft eines Menschen zählt, sondern „der Glaube, der durch die Liebe tätig ist“ (Galater 5,6).

Der Glaube, den uns Jesus Christus vorgelebt hat, ist im Kern Vertrauen auf Gott und Hinwendung zu unseren Mitmenschen. Wer von Gottes Liebe ergriffen wird, wer fest darauf vertraut: „Ich bin von Gott geliebt. Gott sorgt für mich. Gott vergibt Schuld, die ich auf mich geladen habe und schenkt neue Anfänge“, wird sich ganz selbstverständlich anderen Menschen zuwenden. Denn wenn Gott für mich sorgt, brauche ich keine Angst mehr zu haben, ich könnte zu kurz kommen. Ich brauche nicht mehr ängstlich auf meinen eigenen Bauch schauen, sondern kann den Kopf heben und wahrnehmen, wer um mich herum steht und geht, lacht und weint.

So bin ich frei, mit den Menschen zu gehen und zu tragen, zu lachen und zu trösten. Die Geborgenheit und Freiheit, die Gott mir schenkt, die wünsche ich allen Menschen – egal woher sie kommen, egal was sie getan haben, oder noch tun werden. Was in meiner Macht steht, will ich dazu beitragen, dass möglichst viele Menschen gut leben können.

Dazu gehört es auch, für die Menschen einzutreten, auf die ständig hingetreten wird. Das Schlechtmachen anderer Menschen und Politik, die wenigen Reichen nützt, aber der Mehrheit der Menschen und Gottes ganzer Schöpfung schadet, kann ich niemals widerstandslos hinnehmen.
Wie Jesus es gelehrt hat, kämpfe ich ausschließlich mit gewaltlosen Mitteln. Diese werden immer noch unterschätzt, obwohl mit ihnen zahllose positive gesellschaftliche Entwicklungen erkämpft wurden (z.B. Ende der legalen Sklaverei, Beseitigung von rassistischen Gesetzen, bessere Lebensbedingungen der Arbeiterschaft, Sturz von totalitären Regimen).

Ich bete darum, dass Gott uns Kreativität, Entschlossenheit und Mut schenkt, für Gerechtigkeit zu kämpfen. Damit unser Glaube, der durch die Liebe tätig ist, dieser Welt Frieden bringt.

Martin Obermeir-Siegrist
Pastor
Evangelisch-methodistische Kirche

4.10.2018 Podiumsdiskussion: Verliert Europa seine Seele?

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VERLIERT EUROPA SEINE SEELE?
Sozialstaat, Menschenrechte und Friedensunion unter Druck

Populismus, Autoritarismus, Umgang mit Menschen auf der Flucht sind Anzeichen, dass Sozialstaat, Menschenrechte
und europäische Friedensunion schwer unter Druck stehen. Auf welchem Fundament steht unser Europa (noch)?
Wohin verändert sich Europa? Ist die Europäische Union ein Garant für die Einhaltung der Menschenrechte?
Und die Rolle der Kirchen?

Podiumsdiskussion
Donnerstag, 4.10.2018 um 19.00 Uhr
Ort: Stephanisaal, Stephansplatz 3, 1010 Wien

Es diskutieren:

Othmar Karas, Abgeordneter zum Europäischen Parlament, Europäische Volkspartei (Christdemokraten)

Regina Polak, Institut für Praktische Theologie, Universität Wien

Maria Katharina Moser, Direktorin der Diakonie Österreich

Moderation: Gabriele Neuwirth, Vorsitzende des Verbandes katholischer Publizistinnen und Publizisten Österreichs

Anmeldungen bitte an: info@christlichgehtanders.at

 

 

Martin Jäggle: Der Sorge um Arme und Fremde Vorrang geben

Zu Mt 28,16-20:

Ein starkes, ja ein fulminantes Stück sind die soeben gehörten fünf letzten Verse des Evangeliums nach Matthäus. Diese Qualität des Abschlusses ist charakteristisch für alle Meisterwerke. Der Abschluss wird zum Ausblick. Der Blick der Hörenden und Lesenden wird auf das Leben und die Zukunft gerichtet. Der Auftrag „macht alle Völker zu meinen Jüngern“ (V. 19) ist verbunden mit der Zusage „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (V.20).

Mittendrin steht die Formel, mit der auch heute jede Taufe erfolgt: „Taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (V.19). Sie begründet den heutigen Sonntag, der als Dreifaltigkeitssonntag von den Kirchen des Westens gefeiert wird. In der Gemeinde, für die der Evangelist sein Werk schrieb, dürfte diese Formel schon eine längere Tradition gehabt haben. In ihr ist die Gewissheit verdichtet: Die Wirklichkeit und Nähe des einen Gottes kann in dieser Welt und Geschichte in dreifacher Weise erfahren werden. Eine Annäherung an diese spirituelle Erfahrung könnte bieten: Als Grund von Geborgenheit und Sehnsucht Gott erfahren, der wie Vater und Mutter ist. In der Praxis der Liebe dem Sohn begegnen, ermutigt und begleitet vom Geist Gottes. Bei der Taufe Jesu hat Matthäus vor Augen geführt: Der Himmel öffnet sich, Jesus sieht den Geist Gottes auf sich herabkommen und eine Stimme aus dem Himmel sprach: „Dieser ist mein geliebter Sohn.“ (3,17)

Ein Satz irritiert: „Einige aber hatten Zweifel.“ Der Zweifel ist ein wichtiger Teil der Wirklichkeit der Gemeinde des Matthäus und wohl jeder christlichen Gemeinde. Der Zweifel wird hier nicht ausgeblendet oder gar verdrängt, sondern ausdrücklich festgehalten. Noch bemerkenswerter: Die Zweifelnden werden nicht disqualifiziert oder gar sanktioniert. Ist der Zweifel gar der legitime Bruder des Glaubens? Als junger Mensch hörte ich einen Satz, den ich bis heute bewahrt habe: „Euer Glaube muss fragwürdig sein, würdig eurer Frage.“

Auf ein mögliches Missverständnis möchte ich aufmerksam machen. Traditionell wird das griechische Wort μαθητής mit Jünger übersetzt. Aber das Wort Jünger ist alltagssprachlich eher negativ besetzt und wird mit Eiferer, Jasager, Nachläufer oder Verehrer in Verbindung gebracht. Das alles geht am eigentlichen Wortsinn vorbei. Bibelfachleute bevorzugen als Übersetzung das Wort Schüler, Schülerin. Dadurch wird der Aspekt des Lernens deutlicher. Jünger sind zu allererst Lernende, sie gehen in die Schule Jesu. Somit wären eine christliche Gemeinde und erst recht die Kirche als Lerngemeinschaft zu verstehen, weil sie eine Schule Jesu sind. In ihr bleiben alle Lernende, auch nach der Taufe. Aber was ist Gegenstand dieses Lernens – und Lehrens? Matthäus betont: „alles, was ich euch geboten habe“ (V. 20). Für das Matthäusevangelium ist Christsein eine Frage der Praxis. So heißt es im Kapitel 6: „Sucht aber zuerst sein Reich und seine Gerechtigkeit; dann wird euch alles andere dazugegeben werden.“ (Mt 6,33) Wenn sich daher die Kirchen in politischen Konflikten für Gerechtigkeit einsetzen, entsprechen sie nur dieser Forderung. Im Kapitel 7 erfolgt sogar eine Zuspitzung: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr! wird in das Himmelreich kommen, sondern wer den Willen meines Vaters im Himmel tut.“ (Mt 7,21) Wie entscheidend letztlich die Praxis ist, wird im sogenannten Gleichnis vom Weltgericht auf den Punkt gebracht: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40) Und „Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr mir nicht getan.“ (Mt 25,45). Heute ermutigt die Initiative „Christlich geht anders“, wozu das Matthäus-Evangelium auffordert: Der Sorge um Arme und Fremde Vorrang zu geben.

Univ. Prof. ret. Dr. Martin Jäggle

Zum Nachhören bis 3. Juni 2018 auf: https://oe1.orf.at/player/20180527/514225

 

Sozialpolitik muss Menschen vom Rand in die Mitte holen

Sr. Beatrix Mayrhofer, Stephanie Schebesch-Ruf, Judith Pühringer, Franz Küberl

Diskussion in der Langen Nacht der Kirchen 2018 zur österreichischen Sozialpolitik:

Die Diskussion in voller Länge (55:21min) aufgezeichnet von Friedel Hans:

https://www.youtube.com/watch?v=jYrxBXxTcL8&feature=youtu.be

 

 

 

Reflexionen zur Sozialpolitik

„Es braucht eine klare Entscheidung in der Politik heute: Wollen wir eine Ansammlung von ‚Ich-AGs‘ oder eine ‚Wir-AG‘ bilden?“: Das hat der frühere österreichische Caritas-Präsident Franz Küberl am 25.5.2018 in Wien bei einer Diskussion zu den Anliegen der Initiative „Christlich geht anders. Solidarische Antworten auf die soziale Frage“ im Rahmen der „Langen Nacht der Kirchen“ betont. „Wenn jeder Mensch gleich viel Wert ist, schaue ich, dass ich die Menschen am Rand ein wenig mehr in die Mitte hereinhole. Das ist der Maßstab der Gerechtigkeit“, sagte Küberl im Gespräch mit Frauenorden-Präsidentin Beatrix Mayrhofer und der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik-Expertin Judith Pühringer mit Blick auf die heimische Sozialpolitik.

Jede Regierung habe sich um Gerechtigkeit zu kümmern, so der Ex-Caritas-Chef bei der Veranstaltung im Begegnungszentrum „Quo Vadis“ am Stephansplatz. Ohne diesen Anspruch wäre der Staat nur eine „Räuberbande“, zitierte er den heiligen Augustinus. Eine Aufforderung Küberls ging auch an die Kirche. Wolle sie in den ihr wichtigen politischen Fragen eine Rolle spielen, müsse sich die Kirche besser aufstellen. „Es reicht nicht aus, wenn Bischöfe eine SMS an die Politiker schicken. Das ist noch nicht Politik.“ Die Kirche solle sich diesen Themen in einem neuen Sozialhirtenbrief widmen, forderte Küberl.

„Das Thema Arbeit muss neu verhandelt, neu definiert und neu bewertet werden“, verortete Judith Pühringer die soziale Frage am Arbeitsmarkt. Für die Geschäftsführerin von „arbeit plus“, einem Netzwerk sozialer Unternehmen, die auch in der Armutskonferenz engagiert ist, ist der Wandel der Arbeitswelt in den vergangenen Jahrzehnten zentral. Das alte Versprechen, wonach Leistung zu sozialer Sicherheit führe, sei heute „ins Wanken geraten“. schilderte Pühringer. Sie ortet auch eine Abwertung von arbeitslosen Menschen. „Es ist alles sehr brüchig geworden und Menschen werden gegeneinander ausgespielt.“ Besonders schwierig sei die Lage für ältere Arbeitssuchende, die oft vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen würden und keine gesellschaftliche Teilhabe mehr hätten.

Die neue Bundesvorsitzende der Katholischen Jungschar, Stephanie Schebesch-Ruf, hob vor allem die Perspektive von Kindern in der sozialen Frage hervor. „Spuren der Kinderarmut sind ein ganzes Leben lang spürbar“, betonte die Vertreterin von Österreichs größter Kinderorganisation. Kinder bräuchten ein soziales Netz. Umso schwerer wiege, dass auch laut Statistik Austria auch in Österreich rund jedes fünfte Kind armuts- bzw. ausgrenzungsgefährdet sei, sagte die Jungschar-Vorsitzende.

Sr. Beatrix Mayrhofer wiederum blickt aus der Perspektive einer Ordensfrau auf die Armut. Ordensfrauen hätten auch in der Geschichte „immer wieder geschaut, wo die Not ist und was es für eine Antwort braucht“, erinnerte die Präsidentin der Vereinigung der Frauenorden Österreichs. In diesem Sinn sei es nach wie vor wichtig, „die Stimme für die zu erheben, die am Rande sind“.

Mayrhofer plädierte dafür, „genau hinzuschauen, wer arm macht und wer und was die Räuber zu Räubern macht“. Den Dienst speziell von Ordensfrauen sieht sie darin, „in einem einfachen, gemeinsamen und wachen Lebensmodell ein Gegenmodell zum jetzt gängigen neoliberalen Wirtschaftsmodell einzubringen“.

Quelle: https://www.kathpress.at/goto/meldung/1637709/kueberl-sozialpolitik-muss-menschen-vom-rand-in-die-mitte-holen

 

Simon Ebner: Christlich geht anders, weil …

…christlicher Glaube Hoffnung und Zuversicht ausstrahlt.

Politik, die auf einem christlichen Fundament begründet ist, hat eine positive Botschaft.

Sie stellt das Wohl des Menschen als Abbild Gottes und die Bewahrung der Schöpfung in den Mittelpunkt.
Sie ist nicht naiv oder weltfremd.

Sie nennt Probleme beim Namen, auch wenn es sich dabei um unangenehme Wahrheiten handelt.
Sie hetzt nicht, sie spaltet nicht, sie würdigt andere Menschen nicht herab.
Sie ist anstrengend.

Mag. Simon Ebner
Generalsekretär
Katholische Aktion Salzburg

Traude Novy: Leistung muss sich lohnen

In einem bin ich ganz der Meinung der neuen österreichischen Bundesregierung – Leistung muss sich lohnen. Worin allerdings diese Leistung besteht und wer sie erbringt, da geht unsere Sicht, so fürchte ich, allerdings wieder auseinander.

Als Leistung sehe ich alles das, was zu einem guten Leben für alle Menschen beiträgt. Jene laut Christian Konrad 500.000 Menschen, die sich in unserem Land ehrenamtlich bei der Integration von Flüchtlingen und MigrantInnen engagieren, leisten meiner Meinung nach einen unbezahlbaren Beitrag zu einem friedlichen Miteinander in unserer Gesellschaft. Sie fangen Defizite des Staates im Bereich Integration und Bildung auf, sind sinnstiftend für viele entwurzelte und traumatisierte Menschen und stellen der Gesellschaft unbezahlt qualitätsvolles „Humankapital“ (wie das im neoliberalen Neusprech heißt) zur Verfügung. Belohnt wird diese Leistung allerdings oft mit der Verhöhnung als „Gutmenschen“, durch keinerlei Unterstützung durch öffentliche Stellen und der systematischen Abwertung dieser Tätigkeiten.

Altersbedingt kenne ich viele Frauen, die – selbst gebrechlich geworden, ihre an Demenz und sonstigen Krankheiten leidenden Männer mit großer Selbstverständlichkeit betreuen und pflegen – diese unbezahlten 24 Stunden-Kräfte arbeiten für die Öffentlichkeit unsichtbar und sorgen mit ihrer Tätigkeit dafür, dass unser Sozialstaat noch halbwegs funktioniert. Ähnlich ist es in Familien in denen Mitglieder mit Behinderungen leben. Die Belastung ist oft unvorstellbar. Nur einmal im Jahr werden sie durch die weihnachtliche Spendenaktion ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Auch hier sind es vor allem Frauen, die dieses fragile System stützen.

Es ließe sich noch vieles anführen, wo der Begriff der Leistung und die finanzielle Entlohnung dafür, und nur das versteht ja unsere Bundesregierung als Entgelt, auseinander klaffen – von der Arbeit im Sozialbereich, in der Primärbildung und in allem, was mit Fürsorge und Versorgung zusammenhängt.

Aber abgesehen vom sozialen Sektor gibt es auch in der For Profit-Wirtschaft deutliche Diskrepanzen. Weshalb verdienen (selbst)ausgebeutete Ein-Personen-Unternehmungen so viel weniger als jene Menschen, die nichts anderes tun, als in sekundenbruchteilen Aktien zu kaufen und zu verkaufen und damit eigentlich nur einen Beitrag zur Instabilität unseres Wirtschaftssystems leisten? In den Augen unserer Bundesregierung zählen auch jene Personen zu den Leistungsträgern.

Es ist z.B. für mich nicht einsichtig, dass mit der Wohnungsnot in unserer Stadt lukrative Geschäfte gemacht werden und dass eine Unzahl von gut bezahlten Beschäftigten in großen Betrieben ihr beträchtliches Hirnschmalz nur dazu verwenden, die Steuerleistung großer Unternehmen durch Agieren am Rande der Legalität  so zu minimieren, dass sie damit den Sozialstaat gefährden. Die Leistung für die Allgemeinheit all jener Betriebe ist ebenfalls zu hinterfragen, die ihre Gewinne zulasten der Umwelt, des Klimas und der Ausbeutung von Menschen in anderen Erdteilen machen.

VertreterInnen der For Profit Wirtschaft werden mir da jetzt entgegenhalten, dass es eben überall und auch am Arbeitsmarkt um Angebot und Nachfrage geht. Ganz abgesehen davon, dass auch das nicht stimmt, weil auf Grund des geringen Angebots und des großen Bedarfs im Pflegebereich, die Entlohnung dennoch nicht wesentlich verbessert wurde, so ist doch festzuhalten, dass der Markt eben nicht alles regelt. Es ist eine politische Aufgabe zu definieren, welche Leistungen gebraucht und erwünscht sind, um das gute Leben aller zu ermöglichen, was diese Leistungen einer Gesellschaft wert sind und wer dafür auch zu bezahlen hat.

Verwunderlich ist für mich aber in diesem Zusammenhang schon auch die ablehnende Einstellung der „Leistung muss sich lohnen“ Regierung  zu Erbschafts- und Vermögenssteuer. Diese Steuern zielen eben gerade darauf ab, leistungsfreies Einkommen zu besteuern – denn mir kann niemand erklären, dass es eine Leistung wäre, aus der „richtigen“ Gebärmutter geschlüpft zu sein.

Kann es sein, dass viele in unserem Land einem falschen Leistungsbegriff anhängen? Wäre es nicht sinnvoll all das als Leistung wahrzunehmen, was ein gutes Miteinander in der Gesellschaft fördert und in Gewinnmaximierung zulasten anderer Bevölkerungsteile das zu sehen, was es ist, nämlich Sozialschmarotzertum und Durchschummelei? Wenn also unsere Regierung als Ziel das gute Leben aller hat und sich nicht nur an den Bedürfnissen jener orientiert, die in unserer unsicheren Zeit doch ziemlich abgesichert leben, dann müsste sie zuallererst einmal ihren Leistungsbegriff einer humanen zukunftsorientierten Gesellschaft anpassen.

Traude Novy, Bloggerin

Salzburg, 4. April, 19 Uhr: Asyl, Christentum und Menschlichkeit

Christlich? Geht anders.
Asyl, Christentum und Menschlichkeit

Mittwoch, 4. April 2018, 19 Uhr
Ort: „Markussaal“ in der Gstättengasse 16

„Sich in die Politik einzubringen ist für einen Christen ein Muss. Wir müssen uns in die Politik einmischen, denn die Politik ist eine der höchsten Formen der Nächstenliebe, denn sie sucht das Gemeinwohl.“ (Papst Franziskus)

Es ist kälter geworden in Österreich: Fast täglich berichten die Medien über Abschiebungen von gut integrierten Flüchtlingen, Flüchtlingsfamilien kommen in Schubhaft, die zahlreichen engagierten FlüchtlingshelferInnen sind verzweifelt. Statt Solidarität und Menschlichkeit treten Angstmacherei und Gnadenlosigkeit in den Vordergrund: Der solidarische Gedanke eines guten Miteinanders tritt zu oft in den Hintergrund: Es gibt zu viele Fälle, wo Gemeinden (Bürgermeister, Gemeinderat, Pfarrer, Pfarrgemeinderäte, Lehrer und Wirtschaftstreibende) hervorragende Integrationsarbeit geleistet haben und gut in die Gesellschaft integrierte Asylwerber über Nacht in Krisenländer und Kriegsgebiete abgeschoben werden.

Wer Ängste schürt und Menschen gegeneinander ausspielt, zerstört den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den sozialen Frieden. Als engagierte BürgerInnen ist es unsere Pflicht, für mehr soziale Gerechtigkeit einzutreten und auf der Seite der Schwächeren zu stehen.

Podiumsgespräch mit 

Dechant Mag. Alois Dürlinger, Flüchtlingskoordinator der Erzdiözese Salzburg
Pfr.in Dr.in Maria Katharina Moser, design. Direktorin der Diakonie Österreich

Moderation: Elfi Geiblinger

(Veranstalter: Grüner LT-Klub, in Kooperation mit der Initiative “Christlich geht anders. Solidarische Antworten auf die soziale Frage” und der „Plattform für Menschenrechte“)

Traude Novy: Mythos Nulldefizit

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Ein wenig verblüfft war ich schon, als sich am Abend des Internationalen Frauentags Kardinal Schönborn in den Abendnachrichten zu Wort meldete.  Zum Abschluss der Bischofskonferenz ausgerechnet aus Sarajewo sprach er in dieser Funktion  nicht etwa die Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern an – was an diesem Tag ja Hauptthema der Medien war, er sprach auch nicht vom zunehmenden Auseinanderklaffen der Einkommen und Vermögen, sondern sprach davon, wie sehr die Staatsschulden die Zukunft unserer Kinder gefährden.

Bei dieser Gelegenheit machte er noch einen Sidestep in das Jahr 1970, wo Bundeskanzler Klaus ein konsolidiertes Budget an seinen Nachfolger Kreisky übergeben hätte und dieser dann durch ausuferndes Schuldenmachen das österreichische Budget bis in unsere Tage belastet. In meinen Augen ist das ein unhinterfragter Mythos. Gerade am Internationalen Frauentag verbinde ich aber mit dem Jahr 1970 nicht das konsolidierte Budget, sondern dass es damals ein patriarchales Familienmodell gab, in dem die Frauen ihren Männern in fast allen Belangen untergeordnet waren, ohne ihre Erlaubnis weder außerhäuslich arbeiten durften, noch an den Entscheidungen die Kinder betreffend beteiligt waren.

Verantwortungsvolles Schuldenmachen ist auch Investition für die nächste Generation

Es ist unbestritten, dass sich die Regierungsverantwortlichen bewusst sein müssen, mit dem Geld der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger Politik und Wirtschaft zu gestalten und ein sparsamer und verantwortungsvoller Umgang mit öffentlichen Mitteln zum Berufsethos eines jeden Politikers und auch der wenigen Politikerinnen gehören muss. Aber Wirtschaftspolitik ist um einiges komplizierter als die Rolle der von Angela Merkel immer wieder ins Treffen geführten schwäbischen Hausfrau, die nicht mehr ausgibt, als sie einnimmt. Obwohl nicht einmal das stimmt, denn jeder Haushalt, der in ein Eigenheim investiert, macht langfristige Schulden, die das Jahreseinkommen zumeist bei weitem übersteigen – und das ist durchaus vernünftig und in keiner Weise verantwortungslos.

Beim Schuldenmachen kommt es immer darauf an, wofür und wie nachhaltig wirksam man sich verschuldet. Investitionen zur Ankurbelung der Wirtschaft,  ins Bildungswesen, in die Infrastruktur oder zur Abfederung von Wirtschaftskrisen, wie wir es 2008 und 2009 erlebt haben, sind nicht nur sinnvoll, sondern für eine gute Zukunft der nächsten Generation auch dringend notwendig. Das haben gerade die Jahre nach 1970 deutlich bewiesen, in denen Österreich zu einem der wohlhabendsten Länder in Europa wurde.  Die derzeit tatsächlich hohen Staatsschulden entstanden aber erst nach 2008 durch die Rettung der Banken und die sinnvollen Programme zur Ankurbelung der darniederliegenden Konjunktur. Dass das Weltwirtschaftssystem damals tatsächlich vor dem Abgrund stand, haben die meisten bereits wieder vergessen. Diese Schulden innerhalb weniger Jahre reduzieren zu wollen, kann nur gelingen, wenn massiv ins Sozialbudget eingegriffen wird, da ja die Regierung gleichzeitig viele Pläne zur Reduzierung von Steuern umsetzen will.

Schulden reduzieren durch Sparen im Sozialbereich!?

Ich erlebe eben, wie der junge Afghane, der bei uns wohnt seit Monaten keinen Kurs bekommt, um einen Hauptschulabschluss zu erlangen, weil es eben viel zu wenige Kurse gibt. Es fehlt ihm daher die Voraussetzung für eine Berufsausbildung nach der er sich so sehr sehnt. Da wird aus kleinlicher Sparsamkeit Volksvermögen und die Zukunft junger Menschen verschleudert. Denn eine gute Berufsausbildung ist der wesentliche sichere Garant zur Integration. Perspektivlosigkeit  von jungen Menschen heute, wird in Zukunft sowohl unser Sozialbudget als auch unser Sicherheitsbudget massiv belasten und das Leben in unserem Land für alle weniger angenehm machen.

0-Defizit als Strategie für Umbau des Sozialstaates

Ein 0-Defizit als Staatsziel scheint aber diesmal nicht wie zu Karl Heinz Grassers Zeiten ein Marketing Gag zu sein, sondern eher eine Strategie, um den Umbau des Sozialstaats voranzutreiben. Derzeit haben wir in Österreich ein Wirtschaftswachstum und weniger Arbeitslose, außerdem ist das Zinsniveau seit vielen Jahren extrem niedrig. Das sind alles Voraussetzungen, dass sich bei verantwortungsvoller Gebarung das Defizit automatisch reduzieren wird – und das ist auch gut so. Die Bundesregierung allerdings versucht die Quadratur des Kreises, sie will Steuern senken,  Unternehmen entlasten, mehr für Bildung und Polizei ausgeben und gleichzeitig ein 0-Defizit einfahren. Das geht nur zulasten all jener, die keine Lobby außer der Caritas haben – Ansätze in diese Richtung gibt es ja schon und nach den Landtagswahlen in Salzburg wird sich da noch einiges zeigen.

Eine Regierung, die Erbschaftssteuern, Vermögenssteuern und das Andenken einer Wertschöpfungsabgabe rigoros ablehnt, kann gar nichts anderes tun, als zu Lasten des Sozialbudgets in kürzester Zeit ein 0-Defizit zu erreichen, denn eine Verwaltungsreform, so diese die erstarkten Landeskaiser denn zulassen,  dauert Jahre, wenn nicht Jahrzehnte bis sie wirksam wird.

Was den Herrn Kardinal motiviert haben könnte, sich in dieser schwierigen Materie populistisch zu Wort zu melden, kann man nur vermuten – allerdings geht man wahrscheinlich nicht falsch in der Annahme, dass das Lobbying, das die neuen jungen Männer in der Regierung so gut beherrschen, auch bei ihm nicht ohne Wirkung geblieben ist.

Traude Novy, Bloggerin

Sebastian Pittl: Für Christus, Volk und Vaterland?

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Die politische Theologie neurechter Bewegungen

Sebastian Pittl skizziert geschichtliche und ideologische Hintergründe und Wurzeln von aktuellen rechtsextremen Gruppierungen und Bewegungen. In der französischen Nouvelle Droite rund um ihre Gallionsfigur Alain de Benoist (*1943) findet er Anknüpfungspunkte, aber auch Kritikmöglichkeiten. Und er blickt auf die Querverbindungen zum Christentum.

Das Wiedererstarken nationalistischer und rechtsextremer Gruppierungen und Tendenzen stellt zweifellos eine der wichtigsten Herausforderungen gegenwärtiger europäischer Gesellschaften dar. Von Russland über Ungarn bis hin zur AfD oder dem Front national verbindet sich diese Entwicklung dabei mit dem Rückgriff auf christliche Motive. Dies ist offensichtlich in der Allianz zwischen Wladimir Putin und hohen Vertretern der russisch-orthodoxen Kirche, in der Präambel der ungarischen Verfassung, die mit Bezug auf den Heiligen Stephan Ungarn als christliche Nation inszeniert, aber auch in den Bezügen auf die „abendländisch-christliche Kultur“ der AfD oder der engen Verflechtung von katholischen Traditionalisten im Umkreis der Piusbruderschaft mit dem Front National Marine Le Pens.

Signifikante ideologische Veränderungen

Die neurechten Bewegungen in Europa sind ein äußerst heterogenes und oft sogar widersprüchliches Phänomen. Dennoch gibt es über die verschiedenen ideologischen Grenzen hinweg einen Austausch von Ideen und Begriffen sowie länderübergreifende Allianzen. Kritiker*innen dieser Bewegungen (auch aus der Theologie) übersehen häufig die signifikanten ideologischen Veränderungen, die innerhalb dieses Milieus während der letzten Jahrzehnte zu beobachten sind. Dadurch werden gewisse Stereotype von den Rechten reproduziert, die eine konstruktive Auseinandersetzung und effektive Kritik erschweren.

Auf intellektueller Ebene hatte die französische Nouvelle Droite rund um ihre Gallionsfigur Alain de Benoist (*1943) in den letzten Jahrzehnten eine Vorreiterrolle. Ihre Strahlkraft reicht dabei von der Lega Nord in Italien über Vlaams Belang in Belgien bis hin zum russischen Vordenker des neuen Konservativismus Aleksandr Dugin, dem ein entscheidender Einfluss auf Zirkel rund um Wladimir Putin nachgesagt wird.[1]

Pioniere für einen Weg jenseits der drei „Totalitarismen“

Die Nouvelle Droite hat ihre Wurzeln in der von Benoist 1968 mitgegründeten GRECE (Groupement de recherche et d’études pour la civilisation européenne), einem neorechten Thinktank. Benoist und der Nouvelle Droite gelang es durch rhetorische Distanzierung von der „alten Rechten“ sowie durch Verwendung einer politisch korrekten, d. h. antirassistischen, antifaschistischen und pro-demokratischen Sprache, die Rechte aus ihrer Isolation herauszuführen und gesellschaftlich wieder salonfähig zu machen. Benoist und seine Weggefährten knüpfen dabei an Denker der sogenannten „Konservativen Revolution“ (Armin Mohler) wie Carl Schmitt, Ernst Jünger oder Julius Evola an, in denen sie Pioniere für einen Weg jenseits der drei „Totalitarismen“: Faschismus, Sozialismus und egalitären Liberalismus erblicken.

Starke medienwirksame Bilder, die sich dem kollektiven Gedächtnis einprägen sollen

Erstaunlich ist, wie Benoist sich auch zahlreiche „linke“ Theoretiker*innen zu eigen macht. So knüpft Benoist etwa an Antonio Gramsci, den italienischen Marxisten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts an, um die entscheidende Bedeutung des Kampfes um kulturelle Hegemonie, d. h. um die Begriffe und Bilder, die den öffentlichen Diskurs und Vorstellungs- und Wertewelt der Individuen prägen, zu betonen. Wirkmächtig aufgegriffen wird dies derzeit von rechtsextremen Jugendbewegungen wie der Casa Pound in Italien oder der „Identitären Bewegung“ in Österreich und Deutschland.[2] Diese von manchen auch als „rechte Hippster-Bewegung“ charakterisierte Gruppe versucht über professionelle Medienarbeit im Internet sowie durch Protestformen, wie sie traditioneller Weise eher von linken Bewegungen bekannt sind, möglichst große Aufmerksamkeit zu gewinnen. Ziel ist es, starke medienwirksame Bilder zu erzeugen, die sich dem kollektiven Gedächtnis der Gesellschaft einprägen sollen. Zum Repertoire dieser Form der „Metapolitik“ gehören effektvolle Störaktionen von Veranstaltungen (Vorträge, Theateraufführungen) oder die Besetzung von Hörsälen und Parteizentralen, aber auch Musikvideos und „Theoriearbeit“.

Begriff „Ethnopluralismus“ anstelle der Rassenideologie der Alten Rechten

Die „Identitären“ berufen sich mit Benoist auf „Ethnopluralismus“. Der Begriff tritt bei Benoist an die Stelle der Rassenideologie der Alten Rechten. Auf dem Globus gibt es demnach unterschiedliche ethnokulturelle Gruppen mit je eigener Identität und einem je eigenen Wertesystem. Keine der Kulturen sei dabei der anderen über- oder untergeordnet, zerstörerisch sei jedoch die Vermischung dieser Kulturen, da sie die Menschen ihrer konkreten, gewachsenen Identität berauben würde. Migration und die durch die Vorherrschaft des derzeitigen kapitalistischen Systems erzwungene Uniformisierung der Menschheit sind daher entschieden abzulehnen. Die Ideologie der „Egalität“, d. h. der abstrakten Gleichheit aller Menschen ungeachtet ihrer Kultur und Geschichte, wie sie sich z. B. in den Menschenrechten spiegle, dient für Benoist nur der Legitimation des liberal-kapitalistischen Systems. Sie ist Ausdruck derselben Nivellierung von Differenz. Diese zu verteidigen, so das postmodern inspirierte Mantra Benoists, sei die Kernaufgabe der neuen Rechten.

Interessanterweise verabschiedet sich die Nouvelle Droite in den letzten Jahren auch vom Nationalismus. In einem Manifest, das Benoist mit Charles Champetier um die Jahrtausendwende verfasste[3], heißt es, die Nation sei einerseits zu groß, um den alltäglichen Herausforderungen der Menschen gerecht zu werden, andererseits zu klein, um globalen Herausforderungen gewachsen zu sein. An Stelle der Nation sollte ein starkes Europa treten mit einer lebendigen Pluralität regionaler, in sich jedoch möglichst homogener Identitäten.

Zu all dem gesellt sich eine entschieden pro-demokratische Rhetorik, allerdings nicht im Sinne der „liberalen“, repräsentativen Demokratie mit ihrer Gewaltenteilung und dem Parteienapparat, sondern als direkte, plebiszitäre Demokratie. Carl Schmitt scheint Pate zu stehen, wenn darauf hingewiesen wird, dass eine solche Demokratie nur in relativ homogenen Gesellschaften funktionieren könne. Dies ist der ideologische Hintergrund, vor dem etwa auch die Forderungen der FPÖ oder AfD nach mehr direkter Demokratie und einer stärkeren Berücksichtigung des „Volkes“ zu verstehen sind.[4]

Faktor „Religion“ kommt in dieser ideologischen Atmosphäre eine entscheidende Bedeutung zu

Aus theologischer Sicht gilt es auf die entscheidende Bedeutung zu verweisen, die dem Faktor „Religion“ in dieser ideologischen Atmosphäre zukommt. Aleksandr Dugin, dessen Rezeption innerhalb der europäischen Rechten inzwischen mit der von Benoist vergleichbar ist, knüpft stark an christliche, und hierbei insbesondere eschatologische Motive an.[5] Für Benoist ist die politische Theologie Carl Schmitts ein entscheidender Bezugspunkt. Hinsichtlich des Christentums scheint die Diagnose Benoists, der auch selber Theologie studierte, jedoch zutreffender als die von Schmitt zu sein. Benoist macht sich die Säkularisierungsthese des evangelischen Theologen Gogarten zu eigen, um zu betonen, dass das jüdisch-christliche Erbe sowohl die Entzauberung der Welt in Gang gesetzt als auch jenes Egalitätsdenken vorbereitet habe, das in den Menschenrechte seinen Ausdruck finde. Anders als Gogarten sieht Benoist hierin jedoch nicht die Ermöglichung einer legitimen Autonomie der Welt sowie die Anerkennung einer irreduziblen Würde des Einzelnen, sondern den direkten Weg in einen zerstörerischen Nihilismus, in dem jedes Bewusstsein für Differenz und Transzendenz verschwunden sei.

Benoist setzt auf ein erneuertes Heidentum

Benoist setzt im Unterschied zu den vielen neurechten Bewegungen, die sich von ihm inspiriert zeigen, zur Rettung der europäischen Identität daher nicht auf das Christentum, sondern – in diesem Punkt den Nationalsozialismus ähnlicher als Schmitt – auf ein erneuertes Heidentum. Seine Gegenüberstellung von Heidentum und Christentum zeigt sich dabei von Nietzsche inspiriert:  „Wir möchten dem Gesetz den Glauben gegenüberstellen, dem Logos den Mythos, der Schuld des Geschöpfs die Unschuld des Werdens, der Anpreisung von Dienst und Bescheidenheit die Legitimität des Willens zur Macht, der Abhängigkeit die Autonomie des Menschen. Wir schätzen das Verlangen höher als die Vernunft, […] das Bild höher als den Begriff, die Heimat höher als das Exil, den Willen zur Geschichte höher als das Ende der Geschichte und den Willen zur Veränderung, der „Ja“ zur Welt sagt, höher als die Negativität und die Verweigerung.“[6]

Man mag es Benoist zu Gute halten, dass er selbst um die Konstruiertheit seines Neuheidentums zu wissen scheint. An anderer Stelle des eben zitierten Buches schreibt er über die ursprüngliche Wahl zwischen jüdisch-christlichem Glauben und Heidentum: „[…] die ursprüngliche Entscheidung bleibt eine Frage der Wahl […], die niemals vollständig die Notwendigkeit ihrer eigenen Postulate beweisen kann. Nichts erspart uns, diese Wahl zu machen […] Die conditio humana zeigt sich im vollen Bewusstsein dieser Berufung. Subjektivität ist daher nichts, was sich verstecken müsste, weil sie subjektiv ist – eben hierin liegt ihre Stärke.“ Hier spricht sich offen aus, was im Kern der Identitätsbestimmungen neurechter Gruppen zu liegen scheint: radikale Subjektivität, ein „Ich bin ich“ bzw. „Wir sind wir“ wie es auch in der Selbstbezeichnung der „Identitären Bewegung“ klar hervortritt.

Gegenwärtige Identitätspolitik und Heilsgeschichte

Dass Benoist dem jüdisch-christlichen Erbe als Basis für eine neurechte Identitätspolitik zu Recht misstraut und in diesem Sinne wohl auch tiefer dringt als andere neurechte Gruppen und Parteien, zeigt sich, wenn man auf eine biblische Stelle blickt, die auf den ersten Blick strukturanalog zu diesem inhaltslosen „Ich bin ich“ zu sein scheint: die Offenbarung des Gottesnamens in Ex 3,14. Gott offenbart sich Mose als „ähjä aschär ähjä“ – „Ich bin, der ich bin“ bzw. wohl noch treffender: „Ich werde sein, der ich sein werde“. Der Kontext dieser Offenbarung verträgt sich jedoch schwerlich mit dem Wunsch nach „klaren und starken Identitäten“[7] der Neuen Rechten: Moses, ein Hebräer mit ägyptischem Namen, Migrant der zweiten Generation, der auch noch aus seinem zweiten Heimatland fliehen muss, weil er einen Sklavenaufseher erschlägt, ist sich selbst und seiner eigenen Herkunft zutiefst entfremdet, als er auf den brennenden Dornbusch trifft. Weder ganz Ägypter noch ganz Hebräer, ist er das, was man in postkolonialer Terminologie eine hybride Existenz nennen würde. Er heiratet, fern von seiner ersten und zweiten Heimat, die Tochter eines midianitischen Priesters und gibt seinem Sohn den bezeichnenden Namen Gershom (Ödgast), denn „ein Fremder bin ich in einem fremden Land geworden“ (Ex 2,22). Hier beginnt das befreiende, Sinn und Identität stiftende Handeln des „Ich werde sein, der ich sein werde“ an Israel. Was bedeutet es im Kontext gegenwärtiger Identitätspolitik, sich in diese Heilsgeschichte einzuschreiben?

Dieser Artikel wurde erstmals veröffentlicht in feinschschwarz.net Theologisches Feuilleton, 12.7.2017

Sebastian Pittl
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Weltkirche und Mission in Frankfurt.

 

Anmerkungen:

[1] Vgl. Tamir Bar-On, „Intellectual Right-Wing Extremism – Alain de Benoist’s Mazeway Resynthesis since 2000“, in: Uwe Baceks/Patrick Moreau (Hgg.), The Extreme Right in Europe. Current Trends and Perspectives, Göttingen, 2012, 333–358.

[2] Vgl. Julian Bruhns/Kathrin Glösel/Natascha Strobl, Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa, Münster 2014.

[3] Alain de Benoist/Charles Champetier, Manifest. Die Nouvelle Droite des Jahres 2000. Der Text ist online leicht zu finden.

[4] Vgl. die entsprechenden Wahlprogramme.

[5] Vgl. John Cody Mosbey, Political Theology. Aleksandr Dugin and the Fourth Poltical Theory. Working paper, 2017.

[6] Übersetzung aus dem Englischen nach dem online ebenfalls leicht auffindbaren Text von „On being a pagan“. Das Original wurde 1981 in Paris unter dem Titel „Comment peut-on être païen?“ veröffentlicht. Eine deutsche Version erschien unter dem Titel: „Heide sein zu einem neuen Anfang. Die europäische Glaubensperspektive“ (Tübingen 1982).

[7] Vgl. dazu ebenfalls das Manifest von Benoist und Champetier.

Traude Novy: Abgewirtschaftet versus sich in die Gestaltung unserer Welt einmischen

In meiner Kindheit meinte man, wenn man von „So einer Wirtschaft“ sprach, eine große häusliche Unordnung, in Bayern bezeichnet man mit dem Wort Wirtschaft noch immer ein gemütliches Wirtshaus – aber mit der Zeit haben wir uns daran gewöhnt, dass „Wirtschaft“ etwas ist, womit sich nur einige wenige „Eingeweihte“ befassen und was mit unserem ganz normalen Leben eigentlich nichts zu tun hat. „Werch ein Illtum“ würde Ernst Jandl sagen.

Der Staat schafft keine Beschäftigung?

Einige Ereignisse der letzten Wochen haben mir wieder deutlich gemacht, dass unser biblischer Anspruch auf Gerechtigkeit unmittelbar danach verlangt, uns intensiv mit Wirtschaft, ihren Ausdrucksformen und Auswirkungen intensiv zu beschäftigen. Denn eingeengtes ideologisches Denken verstellt den Blick auf die Wirklichkeit.

Da behauptet z.B. unsere Sozialministerin vor den Abgeordneten des Parlaments, dass staatliche Beschäftigungsprogramme Ausdruck anachronistischen kommunistischen Denkens wären, weil der Staat eben keine Beschäftigung schaffen könne.

Wie muss das auf Stadtplanerinnen, Bauarbeiter, Eisenbahner wirken, die öffentliche, mit Steuergeld finanzierte Infrastrukturprogramme umsetzen? Wie auf Lehrerinnen, Sozialarbeiter, Ärztinnen und Krankenpfleger im öffentlichen Dienst? Wie auf alle Beamtinnen und Beamte, die unser im Großen und Ganzen doch gut funktionierendes Gemeinwesen verwalten? Sie alle sind von Investitionen der öffentlichen Hand abhängig, sie alle zahlen Steuern, investieren und konsumieren und tragen so zum erfolgreichen Wirtschaftsstandort Österreich bei.

Der Haushalt als Grundlage einer erfolgreichen Wirtschaft

Den Begriff Wirtschaft auf den schmalen Bereich der privaten For Profit Wirtschaft einzugrenzen, verfälscht das Bild, das eine erfolgreiche Volkswirtschaft abgibt. Ebenso wird im staatlichen Bereich, in dem großen Sektor der Non Profit Ökonomie gewirtschaftet, ja und der einzelne Haushalt, von dem das Wort Ökonomie ja abstammt, ist die Grundlage dafür, dass Wirtschaft insgesamt funktionieren kann. Nicht zu vergessen ist auch der zumeist unterbelichtete Teil der illegalen bis kriminellen Wirtschaft an den wir alle wissentlich oder unwissentlich immer wieder zumindest anstreifen.

Noch deutlicher wird es, wenn wir den Blick auf die sogenannte Care-Ökonomie richten, also jenen Teil der Wirtschaftsleistungen, die in hohem Maße unbezahlt und vorwiegend von Frauen erbracht wird.

Damit die For Profit Wirtschaft überhaupt funktionieren kann, braucht es als Voraussetzung die Fürsorge, Versorgung, Bildung, Reinigung und Pflege. Dieser Teil der Wirtschaft funktioniert aber nach völlig anderen Regeln als die sich immer wieder beschleunigende industrielle und digitale Wirtschaft. Diese Arbeit ist zumeist umso besser, je mehr Zeit dafür zur Verfügung steht. Hier geht es nicht um Konkurrenz sondern um eine gute Kooperation.

Kosten der Arbeit in der Realwirtschaft

Da Industrie- und digitale Arbeit immer billiger, weil rationalisierbar wird, steigen die Kosten der Arbeiten an und mit Menschen. Aber diese Arbeit macht unser Leben erst lebenswert. Denn wir Menschen sind nicht unabhängige Einzelwesen, sondern wir sind unser Leben lang voneinander abhängig. Das muss als Tatsache zur Kenntnis genommen werden. Deshalb sollte der Staat seine Steuern nicht vorwiegend aus der Besteuerung von Arbeit beziehen, sondern seine Einnahmen auf digitale und industrielle Wertschöpfung und Vermögen umlenken.

Solange die Care-Ökonomie aber nicht als wichtiger Teil der Wertschöpfung, sondern als Kostenfaktor gesehen wird, der vor allem das Sozialbudget belastet, wird es nicht zu einer gerechten Wertschätzung und Bezahlung dieser Arbeiten kommen und auch die gerechte Verteilung dieser Tätigkeiten zwischen Frauen und Männern bleibt Illusion.

Wirtschaft als Krypto-Illusion

Aber es tun sich in letzter Zeit noch andere Fallen auf. Jetzt wird nicht allein mehr von der „Finanzindustrie“ gesprochen, die ja, wie die Finanzkrise deutlich zeigte,  mit echter Industrie nichts gemein hat, sondern es werden auch Bitcoins „geschürft“, so als ginge es dabei um vorhandene Bodenschätze und nicht um nur in den Fantasien der handelnden Personen imaginierte Werte.

Die sprachliche Vortäuschung realer Werte soll Seriosität vermitteln. Aber hier ist nicht einmal das vorhanden, was Goldgräber immer schon motiviert hat, das Unmögliche zu wagen, nämlich wenigstens ein Stäubchen echte Grundlage.

Nachhaltige Wirtschaft nur durch verantwortliches Handeln

Am letzten Sonntagvormittag sprach der Filmemacher Werner Boote über seinen neuesten Film „Green lies“. Darin zeigt er auf, wie Konzerne auf das Bedürfnis der Kundinnen nach Nachhaltigkeit aufspringen, ohne eine echte Umkehr zu einer ökologisch verträglichen Produktion anzugehen. Die Zerstörung der Lebensgrundlagen durch die Palmölproduktion ist da ein eindrucksvolles Beispiel. Die Perversität auch von solch gut gemeinten Sendungen zeigte sich daran, dass zwischendurch Werbung eben auch für Großkonzerne geschaltet wurde.

Aber Werner Boote hat schon recht, durch einen fairen und echt nachhaltigen Konsum allein werden wir die Industrie nicht zum Umdenken bringen, dazu ist das System zu mächtig und vernetzt, dafür braucht es ein Handeln der Politik mit Vorschriften und Regeln. Die werden aber ohne einen sich in Wahlergebnis niederschlagenden Druck aus der Bevölkerung nicht kommen.

Um ein gutes Leben aller Menschen anstreben zu können und zur Behütung der Schöpfung halte ich es als eine wichtige Christenpflicht, sich in die Gestaltung unserer Welt einzumischen. Grundvoraussetzung des Einsatzes für mehr Gerechtigkeit in unserem Land und weltweit ist es daher, sich mit den Fragen der Wirtschaft intensiver auseinanderzusetzen und den enggeführten Wirtschaftsbegriff der For Profit-Lobbyisten zu erweitern.

Traude Novy
Bloggerin