Martin Schenk: Der autoritäre Pfad

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Der autoritäre Pfad ist ein Lernprogramm aus Ungarn, Polen und auch anderswo. Der erste Schritt besteht darin gegen Minderheiten zu mobilisieren. Das können Flüchtlinge sein, oder Roma, jedenfalls Gruppen, die sich gut eignen zu den „Anderen“ gemacht zu werden. „Othering“ nennt diesen Vorgang die Forschung. Das Böse kommt von außen, das ist die Grundfigur. Im Schritt Zwei werden Armutsbetroffene schikaniert. Obdachlose in  Budapest, Mindestsicherung hier, Arbeitslose dort. Für diejenigen ganz unten auf der sozialen Leiter werden soziale Grundrechte außer Kraft gesetzt oder bewusst umgangen. Schritt Drei auf dem autoritären Pfad heißt Demonstrationsrecht einschränken und Höchstgerichte aushebeln. Das kennen wir aus Polen, aber auch aus Spanien nach den Protesten gegen Sozialeinschnitte in Folge der Finanzkrise. Der nächste Schritt Nummer Vier nimmt die NGOs und Zivilgesellschaft ins Visier und versucht sie zu denunzieren und zu schwächen. Das ist ein durchgehendes Muster aus Polen, Ungarn, Russland oder der Türkei. Im fünften Schritt werden dann kritische Journalist_innen unter Druck gesetzt.

Der autoritäre Pfad ist ein Lernprogramm aus Ungarn, Polen und anderswo. Auch hierzulande haben sich schon einige auf den Weg gemacht. Wir bekämpfen nicht die Armut sondern die Armen. Wir bekämpfen nicht die Obdachlosigkeit, sondern die Obdachlosen. Wir bekämpfen nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die Arbeitslosen. Wir bekämpfen nicht das Ertrinken, sondern die Lebensretter. Wir bekämpfen nicht die Missstände, sondern die Zivilgesellschaft, die sie aufdeckt. Wir bekämpfen nicht autoritäre Tendenzen, sondern die Grundrechte.

Wer den autoritären Pfad betritt, trampelt pluralistische Wahrnehmung zur Seite, versucht sich unserer Sinne zu bemächtigen und alles als „normal“ darzustellen. „Jeder Schritt war so winzig, so belanglos, so plausibel gerechtfertigt oder gelegentlich auch ›bereut‹, dass auf täglicher Basis niemand verstand, was das Ganze im Prinzip bedeuten sollte, und wohin all diese ›winzigen Maßnahmen‹ eines Tages führen würden. Auf täglicher Basis verstand es keiner, genau so wenig wie ein Bauer in seinem Feld sein Getreide von einem Tag auf den nächsten wachsen sieht. Jede Handlung ist aber schlimmer als die letzte, doch nur ein wenig schlimmer. Du wartest auf das ganz große schockierende Ereignis und denkst, dass die Anderen dich bei deinem Widerstand irgendwie unterstützen werden, wenn solch ein Schock kommt.“ Das schrieb Milton Mayer in seiner Studie über Erfahrungen von Leuten der 1930er Jahre in Deutschland. Und weiter: „Die äußerlichen Formen sind alle vorhanden, alle unberührt, alle beruhigend: die Häuser, die Geschäfte, die Mahlzeiten, die Besuche, die Konzerte, das Kino, die Ferien. Aber der Geist, den du niemals bemerkt hast, weil du ein Leben lang den Fehler gemacht hast, dich mit den äußerlichen Formen zu identifizieren, hat sich verändert. Nun lebst du in einer Welt bestehend aus Hass und Furcht, und die Leute, die hassen und fürchten, wissen nicht einmal selbst, dass, wenn jeder transformiert ist, keiner transformiert ist. Du hast Dinge akzeptiert, die du vor fünf Jahren nicht akzeptiert hättest; oder vor einem Jahr.“

Martin Schenk-Mair, Diakonie Österreich
Stv. Direktor, Grundlagenreferat – Sozialpolitik

Dieser Artikel erschien in der Strassenzeitung „Augustin“

2 Comments

  1. Das der enorme Migrationsdruck zu Gegenreaktionen führt ist wohl verständlich ? Die Rolle des Weltsozialamtes steht Ihnen nicht zu. Arbeiten Sie doch in den Herkunftsländern. Verwenden Sie Ihre Mittel für solide Rückkehrhilfen, im Interesse und zum Wohle aller Beteiligten.

  2. Ja ja, der „enorme Migrationsdruck“ machts notwendig, die Arbeitslosigkeit zum Bettlerdasein zu verwandeln, Flüchtlinge in Lagern zu „halten“, Ihnen ihr letztes Geld abzunehmen, durch all diese Maßnahmen zu desintegrieren, damit sie dann als integrationsunwillig aus dem Land geschmissen werden.
    Ihr zynisches Gerede von Arbeit in den Herkunftsländern und solide Rückkehr zum Wohle aller, besonders jener die Migranten nicht mögen.
    Wieso gehen sie nicht nach Nigeria oder Afghanistan wenn ihnen das Wohl jener Leute so am Herzen liegt?

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