Juni 2017 - Page 2

Christoph Konrath: Christlich geht anders, weil …

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„Nächstenliebe“ sei keine taugliche Grundlage für Politik höre ich oft von Menschen, die sich für eine „christlich“ geprägte Politik und Gesellschaft aussprechen. Ich stimme Ihnen durchaus zu, denn „Nächstenliebe“ und ein Verlassen auf individuelle Wohlmeinung reichen für politisches Handeln und staatliche Organisation nicht aus. Ebenso wenig reicht es aber, „christlich“ auf ein kulturelles Bekenntnis zu reduzieren.

Christlich geht anders. Es weiß um die zentrale Bedeutung, die das Scheitern und der Neuanfang in der Bibel haben. Das Scheitern politischer Ambitionen und Programme, ebenso wie das Scheitern an Macht und Eitelkeit.

Christlich geht anders. Es weiß um Gottes Fürsorge und Gerechtigkeit, und es weiß, diese auch heute zum Maßstab unseres Zusammenlebens und Wirtschaftens zu machen.

Christlich geht anders. Es weiß um die Bedeutung von Freiheit und Recht. Es erinnert sich, dass Gott den Menschen zur Freiheit gerufen hat, und dass Gott seinem Volk die Thora gegeben hat, da der Mensch nicht vom Wohlwollen anderer abhängen soll, sondern Rechte hat.

Christlich geht anders. Es weiß um Offenheit und Vielfalt, die uns Menschen und die Schöpfung ausmachen, die wir aushalten müssen, und die Zukunft möglich macht.

Christoph Konrath
Jurist und Politikwissenschaftler in der Parlamentsdirektion
www.unsereverfassung.at

Stephan Schulmeister: Wir sind aufeinander angewiesen

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Stephan Schulmeister plädiert für einen starken Sozialstaat als institutionalisierte Solidarität

Ich unterstütze diese Bewegung, weil die große Mehrheit der Menschen in Österreich nicht glaubt, dass wir alle nur Individuen sind, die nach ihrem persönlichen Vorteil streben durch Konkurrenz mit den anderen. Sie wissen: Wir sind aufeinander angewiesen und es geht uns gut, wenn es auch anderen gut geht. Die meisten ÖsterreicherInnen wollen einen starken Sozialstaat als institutionalisierte Solidarität, weil sie wissen, dass sie selbst und die meisten anderen Menschen ihn brauchen.
Doch die Eliten predigen seit Jahren, dass nur stärkere Konkurrenzfähigkeit und individueller Leistungswille uns aus der Krise führen können. Deshalb dürfe man den Armen höchstens das Existenzminimum gewähren, sonst machen die es sich in der „sozialen Hängematte“ bequem. Im Namen der Eigenverantwortung soll der Sozialstaat weiter verschlankt werden. Doch die allermeisten Arbeitslosen und prekär Beschäftigten wollen etwas leisten, es gibt aber viel zu wenig „normale“ Arbeitsplätze.
Christliche Grundwerte überwinden Gegensatz von Egoismus und Moral

Christliche Grundwerte haben die europäische Kultur geprägt. Sie überwinden die Gegensätze zwischen Egoismus und Moral, zwischen individuellem Glücksstreben und sozialem Zusammenhalt, zwischen dem Menschen als Einzelnem und als soziales Wesen durch die Einheit von Selbstliebe, Nächstenliebe und Gottesliebe. Insofern sind die europäischen Grundwerte „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit/Geschwisterlichkeit“ ebenso in der christlichen Tradition Europas verwurzelt wie die Ideale der ArbeiterInnenbewegung.
Individuelle Freiheit UND sozialer Zusammenhalt

„Christlich geht anders“ wendet sich an alle Menschen, denen die Verbindung von individueller Freiheit und sozialem Zusammenhalt, von Eigennutz und Solidarität, ein Anliegen ist, und die diese christlich-europäischen Grundwerte bedroht sehen – und zwar sowohl von den „ent-sozialdemokratisierten“ und „ent-christlichten“ Traditionsparteien als auch von den nationalistisch-sozialen Populisten, die Menschengruppen gegeneinander ausspielen und im Christentum eine europäische „Abwehrideologie“ gegen Fremde aller Art sehen.
Warum soll ich unterschreiben?

Daher mögen alle, denen die christlich-europäischen Grundwerte wichtig sind, diese Bewegung unterstützen, egal, ob sie religiös sind oder nicht, ob sie bei einer Kirche sind oder nicht. Es geht darum, ein breite „Abwehrfront“ wachsen zu lassen, quer über traditionelle Ideologien oder politische Lager. Die Mobilisierung Gleichgesinnter ist das Ziel, nicht eine bestimmte Zahl von Unterstützungserklärungen. Aber wenn es mehr als 1 Million sind und ihre Zahl wächst und wächst, dann werden die Eliten hinhören auf die Stimmen der nicht mehr schweigenden Mehrheit. Solidarität bedeutet ja nicht Selbstlosigkeit üben, sondern soziales Eigeninteresse verfolgen.

Stephan Schulmeister, Wirtschaftsforscher

stephan.schulmeister@wifo.ac.at

http://stephan.schulmeister.wifo.ac.at/

9.6.17 „Christlich geht anders“ in der Langen Nacht der Kirchen

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„Christlich geht anders. Solidarische Antworten auf die soziale Frage“
Ort: Quo vadis, 1010 Wien, Stephansplatz 6
Zeit: 9. 6. 2017 21-22 Uhr

Gespräch: Stephan Schulmeister, Wirtschaftsforscher; Vera Hofbauer, Vorsitzende der Katholischen Jugend Österreich; P. Franz Helm SVD, Ordensgemeinschaften; Sr. Karin Weiler CS, Caritas Socialis

Interaktive Auseinandersetzung mit den Grundanliegen von „Christlich geht anders“
Veranstalter: Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis mit Katholische Sozialakademie Österreichs (ksoe) als Koordinatorin der Kampagne „Christlich geht anders“