2018

Fürchtet euch nicht!?

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Offener Weihnachtsbrief der kfb Wien an die Bundesregierung.

Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung,
wir Christinnen und Christen hören in unseren Kirchen im Advent die prophetischen biblischen Schriften, die unsere soziale Verantwortung einfordern. Die Herbergssuche, die Geburt in einem Stall, die Verkündigung der Geburt Christi an die Hirten und das Wort des Engels „Fürchtet euch nicht“ machen uns deutlich, dass Solidarität mit den Armen und Ausgegrenzten die zentrale Botschaft unseres Glaubens ist. Wir Frauen der Katholischen Frauenbewegung der ED Wien leben diese Botschaft in unseren Pfarren und Gemeinden, in Kirche und Staat und auch – durch unser entwicklungspolitisches Engagement – weltweit. Das verpflichtet uns, gerade zu Weihnachten unseren Sorgen Ausdruck zu verleihen.

Wir haben keine Angst vor Flüchtlingen und vor einer geordneten Zuwanderung. Aber wir sind besorgt, dass eine unbarmherzige Politik Egoismus und Fremdenfeindlichkeit fördert!
Wir haben keine Angst vor sozialen „Durchschummlern“! Aber wir sind besorgt, dass sich Konzerne und reiche MitbürgerInnen durch Steuervermeidung und Steuerflucht ihrer sozialen Verantwortung entziehen.
Wir haben keine Angst vor dem Migrationspakt der UNO! Aber wir sind besorgt, dass Österreich wegen nationalistischer und populistischer Überlegungen sein internationales Renommee verliert.
Wir haben keine Angst vor einer deutlichen Arbeitszeitverkürzung! Sie ermöglicht es, unbezahlte Arbeit zwischen Frauen und Männern gerechter zu verteilen. Aber wir sind besorgt, dass die sozialen Kosten der Ausweitung des 12- Stunden-Tags und der 60- Stunden-Arbeitswoche wieder von Frauen getragen werden müssen.
Wir haben keine Angst vor der Stärkung des Sozialstaats! Aber wir sind besorgt, dass die Reform der Sozialversicherungen nur im Bereich der Arbeitnehmenden durchgreift und deren Interessen in den diversen Gremien schmälert.
Wir haben keine Angst vor Veränderungen durch einen umweltfreundlichen Lebensstil! Aber wir sind besorgt, wenn zukünftige Überlebensfragen hinter Wirtschaftsinteressen gestellt werden.
Wir haben keine Angst vor einer Bevorzugung der armen Länder in internationalen Handelsverträgen! Aber wir sind besorgt, dass in sogenannten Partnership-Agreements vorwiegend die Interessen der reichen Länder wahrgenommen werden.
Wir haben keine Angst vor der Erhöhung der Finanzmittel für die Entwicklungszusammenarbeit! Aber wir sind besorgt, dass es dabei vorwiegend um Exportförderung österreichischer Unternehmen geht.

Sehr geehrte Bundesregierung, wir erwarten uns, dass Sie unsere Sorge um den guten Weg in die Zukunft unseres Landes ernst nehmen! Wir denken, dass auch für Sie der Einsatz für ein gutes Leben aller jetzt und auch in Zukunft, die Grundlage Ihres politischen Handelns ist und freuen uns auf Ihre Antwort.
Franziska Berdich und Christine Saliger
für die Diözesanleitung der kfb Erzdiözese Wien

Stephansplatz 6/5/540, 1010 Wien, kfb.wien@edw.or.at
KATHOLISCHE FRAUENBEWEGUNG Erzdiözese Wien
KATHOLISCHE AKTION http://wien.kfb.at

Ulrich Wanderer: Christlich geht anders, weil …

… „denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen“

Geht es denn deutlicher?

 Wie kann man die Tätigkeit der VinziWerke besserbeschreiben, als mit den Worten Jesu, wie sie im Matthäusevangelium festgehalten sind? Wir haben die unglaubliche Möglichkeit dem Herrn selber zu helfen, ihm Speis und Trank und Heimat zu bieten. Stünde der Heiland in einer Form vor uns, die wir aus Kirchenbildern kennen, wäre die Entscheidung, ihm mit Speis und Trank zu helfen wohl einfach, so müssen wir ihn durch die Kleidung und die Augen unseres Gegenübers erkennen. Aber.., es ist einfach, wenn wir uns nicht auf die Bilder der Maler, sondern auf das Wort selber konzentrieren. Der Dienst an den Armen und Ärmsten ist Gottesdienst in der reinsten und auch einfachsten Form.

Die Vinzenzgemeinschaften haben sich zum Ziel gesetzt, gerade jenen Unterstützung und Halt zu bieten, die Jesus als sein Abbild bezeichnete, die Ärmsten und „Geringsten“ unserer Gesellschaft. Ihnen zu helfen ist nicht nur Wesensaufgabe eines aktiven Sozialstaates, sondern auch Kennzeichen eines lebendigen Christentums.

So geht christlich, nicht anders.

Darüber hinaus gestatten Sie mir ein persönliches Statement: Manchmal in den letzten Jahren begann ich schon an der Gesellschaft zu zweifeln, zu vieles lief anders, als ich es mir gewünscht hätte. Jetzt, da ich den Menschen von der Möglichkeit erzähle, sich bei einer guten Sache einzubringen, werde ich richtiggehend bestürmt. Ich darf erleben, wie gerne die Menschen helfen wollen, darf das Gute in den Mitmenschen erleben. Was für ein großartiges Gefühl! Danke Euch dafür!

Mag. Ulrich Wanderer, Obmann der Vinzenzgemeinschaft zum Hl. Lazarus

Die Vinzenzgemeinschaft zum Hl. Lazarus betreibt das VinziDorf Wien, in Hetzendorf, in welchem  24 obdachlose Männer in Würde eine dauerhafte Heimat finden.

Bernhard Leubold: Sozialhilfe neu

Geldleistungen kürzen und besonders Bedürftige bestrafen.

Die österreichische Bundesregierung beschloss am 28.11.2018 eine Reform der Bedarfsorientierten Mindestsicherung (BMS). Aktuell (Stand 2017) beziehen 307.853 Personen BMS (davon 34% Frauen, 31% Männer und 35% Kinder). Bloß 10% erhielten den maximal möglichen Betrag, während ein großer Teil (Wien 2016: 64%) „AufstockerInnen“ waren: BezieherInnen äußerst geringer Einkommen (sowohl Erwerbseinkommen als auch Arbeitslosengeld oder Notstandhilfe) wurden auf den Betrag der Mindestsicherung aufgestockt. Die anspruchsberechtigten Menschen gehören zu den Ärmsten in Österreich.

Für diese 3,5% der Bevölkerung wurden zuletzt bloß 0,9% des Sozialbudgets über die Mindestsicherung ausgegeben. Bei einer Sozialausgabenquote von 29,5% handelt es sich also um etwas weniger als drei Promille der Wirtschaftsleistung Österreichs. Die nun geplanten Kürzungen führen somit bloß zu marginalen Veränderungen im Promille-Bereich des Gesamtbudgets. Für die Betroffenen sind die finanziellen Einbußen hingegen prozentuell deutlich größer. Neben Menschen mit Migrationshintergrund sind vor allem kinderreiche Familien von weiterer Verarmung betroffen.

„Sozialhilfe neu“ – Herkunfts- und Kindermalus statt gleiche Würde und Rechte für alle

Die Mindestsicherung soll österreichweit als „Sozialhilfe neu“ vereinheitlicht werden und die BMS ablösen. Die Regierung orientierte sich bei der Vereinheitlichung an den niedrigsten Sätzen der bisher verantwortlichen Landesregierungen. Diese niedrigsten Sätze sollen nun als neue Maximalbeträge gelten. Das bedeutet je nach Bundesland deutliche Einbußen für sozial Bedürftige. Die aktuelle Reform sieht vor, dass es weitere Nivellierungen nach unten geben soll. 300 Euro des neuen Basisbetrags von 863,04 Euro (für alleinstehende Personen; Paare bekommen max. 1.208,26) im Monat sollten nämlich bloß als „Arbeitsqualifizierungsbonus“ ausbezahlt werden. Dieser sogenannte „Bonus“ steht nur Menschen mit österreichischem Pflichtschulabschluss zu. Alle anderen müssen Deutschkenntnissen auf B1-Niveau oder Englischkenntnissen auf C1-Niveau nachweisen, um Anspruch auf den vollen Betrag zu haben. MigrantInnen haben es daher deutlich schwieriger, die vollen 863,04 Euro zu erhalten. Für sie soll in Wirklichkeit ein „Herkunftsmalus“ gelten.

Auch eine weitere geplante Reformmaßnahme sorgte für Unverständnis bei vielen BeobachterInnen: Der neue Malus bezieht sich nämlich nicht bloß auf die Herkunft der Hilfebedürftigen, sondern auch auf die Größe ihrer Familien. Der ausbezahlte BMS-Betrag reduziert sich nämlich exponentiell mit der Anzahl der Kinder: So bekommen Elternpaare für das erste Kind noch 215,76 Euro, das zweite ist nur noch 129,46 Euro wert und ab dem dritten Kind sinkt der Betrag auf 43,15 Euro. Alleinerziehende Eltern bekommen zwar geringfügig mehr, aber auch bei ihnen sinkt der Betrag exponentiell vom ersten Kind (315,76) bis zum vierten und danach folgenden Kindern (68,15). Daher gehören kinderreiche Familien zu den Hauptbetroffenen der Kürzungen. Ab dem dritten Kind müssen 1,40 Euro pro Tag ausreichen. Das widerspricht nicht nur dem Grundsatz der Gewährung gleicher Würde für alle. Dadurch steigt auch die Gefahr akuter Verarmung von Kindern. Der „Herkunftsmalus“ der „Sozialhilfe neu“ wird daher ergänzt durch einen „Kindermalus“.

„Sozialhilfe neu“ und katholische Soziallehre – Würdevolles Leben für die Ärmsten?

Diese Maßnahmen stehen in krassem Widerspruch zu zentralen Prinzipien der katholischen Soziallehre. Seit der ersten päpstlichen Sozialenzyklika Ende des 19. Jahrhunderts betont die Soziallehre die Zentralität der menschlichen Würde und die Zusammenhänge von Würde mit dem Erwerbsarbeitsleben, den Arbeitsbedingungen und dem dafür erhaltenen Einkommen.

Die in Europa übliche Definition von Armut richtet sich nach dem Median-Einkommen – wer weniger als 60% des Einkommens des mittleren Einkommens der Bevölkerung verdient, gilt als arm. Je nachdem, wie viele Familienmitglieder von einem Erwerbseinkommen versorgt werden müssen, variiert der Wert (1.238 Euro für einen 1-Personen-Haushalt; 2.971 für 2-Personen-3-Kinder-Haushalt). Dieser Betrag gilt zwar in der EU als offizielle Armutsgrenze, ist im Prinzip aber ein Indikator für Ungleichheit, der nicht misst, ob man sich Alltagsgüter leisten kann, sondern wie viel man relativ zum Rest der Bevölkerung verdient. Es spricht zwar einiges dafür, Armutsgefährdung so zu definieren, weil Armut von der Teilhabe am gesellschaftlich Üblichen abhängt.

Die wichtigste wissenschaftliche Grundlage für eine genauere Bestimmung von Armut liefern Referenzbudgets, die berechnen, wie viel Geld ein Haushalt monatlich bei bescheidener Lebensführung benötigt, um nicht in Armut und sozialer Ausgrenzung leben zu müssen. Neben den Ausgaben für Wohnen, Kleidung, Gesundheit und Ernährung betrifft das auch bescheidene Ausgaben für Kultur und soziales Leben sowie Körperpflege. Eine einzelne Person braucht dem zufolge 1.393 Euro pro Monat, während ein Paar mit drei Kindern schon 4.151 Euro monatlich benötigen würde, um angemessen am gesellschaftlichen Leben Österreichs teilhaben zu können. Referenzbudgets geben eine Orientierung, wie viel Geld in Österreich tatsächlich monatlich benötigt würde, um würdevoll leben zu können und Teilhabe zu erfahren. Wenn man also von den Konsumbedürfnissen ausgeht, zeigt sich, dass nicht nur viele Sozialleistungen weit davon entfernt davon sind, gesellschaftliche Teilhabe zu sichern, sondern vielfach auch die Erwerbseinkommen. Referenzbudgets verweisen somit auch auf die Notwendigkeit, zusätzlich die gesamtgesellschaftliche Verteilung von Vermögen und Einkommen (insbesondere die Verteilung zwischen Kapitaleinkommen und Lohneinkommen) in den Blick zu nehmen.

Laut Angaben der Regierung reduziert sich der Mindestsicherungsbetrag nach der geplanten Reform von 2.590,- auf 2.190,- pro Monat für Familien mit drei Kindern. Die Nichtregierungsorganisation SOS Mitmensch errechnete sogar einen deutlich niedrigeren Betrag von bloß 1.597,- pro Monat. In beiden Fällen handelt es sich um Beträge ohne Herkunftsmalus. Der Kindermalus sowie die generelle Kürzung der Ausgaben führen im Vergleich zur aktuellen Situation in Wien selbst bei konservativen Schätzungen der Regierung auf 400,- pro Monat. Die Differenz zur Armutsgrenze beträgt somit 780 Euro im Monat – selbst für eine Familie, deren Eltern in Österreich ihre Pflichtschule absolvierten. Kommt neben dem Familienmalus noch der Herkunftsmalus ins Spiel, reduziert sich der Betrag laut Angaben der Regierung nochmals von 2.190,- auf 1.684,- pro Monat. Die Familie erhält somit ein monatliches Einkommen, das etwa tausend Euro unter der Armutsgrenze liegt. Zur umfassenderen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben fehlt dann noch deutlich viel mehr Geld.

Bestrafung der Bedürftigen statt Hilfe zur Selbsthilfe

Sehr oft werden die Sozialreformen mittels des Grundsatzes der Subsidiarität argumentiert, der seit 1931 in der katholischen Soziallehre etabliert ist. Subsidiarität bezieht sich auf das Grundprinzip der ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘ und hat somit zwei Richtungen: Einerseits wird der Mensch als eigenverantwortliches Wesen verstanden, der mit möglichst wenig Einmischung des Staates oder fremder Personen leben können sollte. Andererseits gebietet die Subsidiarität aber auch Hilfe der Stärkeren für die Schwächeren, die sich aus Problemlagen nicht alleine befreien können. Der staatliche Umgang mit den Ärmsten in Österreich ist nun leider immer weniger von Hilfe zur Selbsthilfe, sondern vielmehr durch die staatliche Entledigung von Verantwortung geprägt, die eher als Stoß ins selbstverantwortete Unglück bezeichnet werden kann.

Besonders deutlich wird das Abweichen von der Subsidiarität beim Herkunftsmalus: Einerseits verlieren Menschen mit Migrationshintergrund durch die Kürzungen bei Integrations- und Sprachkursen Möglichkeiten der Unterstützung bei ihren Anstrengungen zur Integration. Andererseits werden sie aber dafür bestraft, sich nicht ausreichend zu integrieren. Wenn die Pflichtschule und evtl. weitere Ausbildung außerhalb Österreichs absolviert wurde, erschwert das jetzt nicht bloß die Anerkennung ihrer Ausbildung, sondern wird auch finanziell bestraft, wenn diese Menschen in Notlagen geraten.

Die neuen Auszahlungsbeträge sind außerdem Maximalbeträge, die kaum Spielraum nach oben zulassen. Die offizielle Stellungnahme der Regierung im Vorblatt zum Sozialhilfe-Grundsatzgesetz betont sogar „ein gewisses Einsparungspotential für die Länder“, da das „gegenständliche Gesetzesvorhaben an einigen Stellen Kann-Bestimmungen ausweist und andererseits den normierten Höchstbeträgen, die auch unterschritten werden können“. Den ausführenden Stellen auf Landesebene wird somit sogar suggeriert, die ohnehin schon geringen Beträge noch weiter zu reduzieren.

Bemessen an den Staatsausgaben handelt es sich um äußerst geringfügige Promillebeträge, die eingespart werden. Kinderreichen Familie, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, müssen hingegen auf hohe Prozentsätze ihres Monatseinkommens verzichten. Durch die zusätzlichen Kürzungen der Integrationsmaßnahmen verlieren besonders bedürftige Personen Möglichkeiten der Weiterbildung. Nun werden sie zusätzlich auch durch den Herkunftsmalus bestraft. Statt der Ermöglichung, ein menschenwürdiges Leben zu führen, setzt die Regierung auf akute Armutsgefährdung.

Plan zur Abschaffung der Notstandshilfe

Weiters plant die österreichische Bundesregierung auch eine Reform der Notstandshilfe, die von 157.483 Personen (40% Frauen, 60% Männer) in Anspruch genommen wird. 80% sind österreichische StaatsbürgerInnen, etwa 50% sind älter als 45 Jahre und 35% haben gesundheitliche Einschränkungen. Während aus Regierungskreisen betont wird, dass die Notstandshilfe auch im System eines „Arbeitslosengeldes neu“ erhalten bleibe, berechnete eine im Auftrag des Sozialministeriums erstellte Studie des WIFO, dass die aktuell geplante Abschaffung der Notstandshilfe nur für ca. 23% der BezieherInnen den Bezug von Arbeitslosengeld ermöglichen würde, während die überwiegende Mehrheit von etwa 121.000 arbeitslosen Menschen ihren Anspruch verlieren würden und somit auf die Bedarfsorientierte Mindestsicherung angewiesen wären. Unter diesen 77% der VerliererInnen sind 37.000 Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen oder Behinderungen, etwa ein Drittel ist älter als 50 Jahre.

Die Abschaffung der Notstandshilfe betrifft ein wichtiges Instrument zur Gewährleistung sozialer Sicherheit: Im Gegensatz zu den Regelungen der Mindestsicherung gibt es bei der Notstandshilfe keine Vermögensgrenze. Nach Abschaffung gilt die Vermögensobergrenze von etwa 5.200 Euro auch für die 121.000 betroffenen ehemaligen Sozialhilfe-EmpfängerInnen. Die Betroffenen müssen erst ihre Ersparnisse aufbrauchen und ihr Eigentum (beispielsweise ein Auto, das nicht zur Berufsausübung nötig ist) verkaufen, bevor sie berechtigt sind „Sozialhilfe neu“ zu beziehen. Bloß Eigenheim bleibt ausgelassen, der Staat wird aber nach 3 Jahren ins Grundbuch eingetragen. Außerdem dürfen BezieherInnen der BMS (nach der Reform „Sozialhilfe“) auch nicht geringfügig dazu verdienen wie BezieherInnen von Notstandshilfe oder Arbeitslosengeld, sondern dürfen bloß „aufstocken“: Verdienen sie mit Erwerbsarbeit weniger als den Betrag der BMS, wird die BMS bis zur Auszahlungshöhe auf den Verdienst „aufgestockt“.

Diese beiden Regelungen sind zentrale Eckpfeiler der „Hartz 4“-Gesetze in Deutschland, die nun auch in Österreich auf eine deutliche größere Anzahl von Menschen ausgeweitet werden sollen. Auch die jüngste Reform der Notstandshilfe wird dadurch hinfällig: Seit Juni 2018 ist der Bezug nicht mehr an das Haushaltseinkommen, sondern an das persönliche Einkommen gekoppelt. Diese Maßnahme, die tendenziell besonders Frauen zu Gute kam, wird nun rückgängig gemacht, bevor sie ausreichend in Kraft war, um evaluiert werden zu können.

Bestrafung von Armut, Herkunft und Kinderreichtum statt Existenzsicherung

Ausgehend von einem christlich-sozialen Bewusstsein, sagte einst Helmut Kohl, dass die Menschlichkeit einer Gesellschaft sich nicht zuletzt daran zeigt, wie sie mit den schwächsten Mitgliedern umgeht. Dieses Bewusstsein lässt die aktuelle österreichische Bundesregierung in den Reformen der „Sozialhilfe neu“ vermissen. Um Einsparungen im Promille-Bereich des Staatsbudgets zu erzielen, sind sozial Bedürftige gezwungen, auf Beträge zu verzichten, die einen hohen Prozentanteil ihres Monatseinkommens entsprechen, das ohnedies schon unter der Armutsgrenze lag. Ausbildung außerhalb Österreichs wird nun ebenso bestraft wie Kinderreichtum. Verarmung und Verelendung der schwächsten Mitglieder sind die abzusehenden Folgen einer Politik, die sich immer deutlicher von den Grundsätzen christlicher Nächstenliebe und sozialer Gerechtigkeit entfernt.

Bernhard Leubolt
Ökonom und Politikwissenschafter, Mitarbeiter der ksoe, Forschungs- und Grundlagenarbeit zu Demokratie, Sozialstaat, Zukunft der Arbeit, sozio-ökologische Transformation.

Quelle: https://blog.ksoe.at

Sozialhilfe neu – Geldleistungen kürzen und besonders Bedürftige bestrafen

Hans Riedler: Christlich geht anders, weil …

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… die Mindestsicherung neu schon wieder in die falsche Richtung geht.

Die Bundesregierung plant, die Mindestsicherung für ganz Österreich zu vereinheitlichen – das ist unterstützungswürdig. Zwei der bisher bekannt gewordene Details sind jedoch entschieden abzulehnen und würden sicher wieder von den Höchstgerichten aufgehoben:

Eine fünfjährige Wartefrist für EU-Bürger und sonstige Drittstaatsangehörige einzuführen „geht am Zweck der Mindestsicherung vorbei“, wie der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk meiner Überzeugung nach zu Recht feststellt. Wovon sollen diese Menschen während dieser fünf Jahre leben? Sollen sie kriminell werden?

Wer nicht über entsprechende Deutsch- oder Englischkenntnisse verfügt, soll 300 Euro weniger bekommen. Das betrifft laut einer Studie auch viele Österreicher und Österreicherinnen. Um besser Deutsch und/oder Englisch zu sprechen, da sind wohl andere Maßnahmen menschlicher und zielführender.

Bei den Ärmsten der Armen zu sparen fällt unserer Regierung sehr leicht. Wann endlich tragen die Vermögenden und Konzerne mit ihren Milliarden entsprechend dazu bei, unser Budget für Bildung, Soziales, Gesundheit, Integrationsmaßnahmen usw. zu sichern?

Hans Riedler
4040 Linz, Hofmannstrasse 10

27.11.2018

Traude Novy: Wirtschaft, Soziales und Umwelt gemeinsam denken!

Black Friday.

Anlässlich des 60 jährigen Jubiläums der Aktion Familienfasttag hat die Katholische Frauenbewegung zu einem Symposium geladen. Diese Veranstaltung befasste  sich, angesichts der tiefgreifenden Herausforderungen unserer Zeit, mit dem dringend gebotenen ökonomischen, ökologischen und sozialen Wandel und der Rolle der Frauen in diesem Prozess.

Eine Woche nach dieser beeindruckenden Veranstaltung wurde mir die Dringlichkeit dieses Wandels und die Bedeutung der Rolle von uns Frauen bei diesem Vorgang wieder einmal deutlich vor Augen geführt. Die Macht derer, die keine anderen Interessen haben, als aus uns Bürgerinnen und Bürgern gedankenlose Konsumentinnen zu machen, zeigte sich wieder einmal in ihrer ganzen Stärke. In allen Medien und in allen Konsumtempeln wurde da für einen „Black Friday“ geworben.

Black Friday: Marketingschmäh für „immer billiger-KonsumentInnen“

Anfangs verstand ich gar nicht, was damit gemeint war, denn meine Assoziationen zu black gingen eher in die Richtung Trauer, Mahnwache, Erinnerung. Aber weit gefehlt, black Friday ist einer von vielen Marketingschmähs, der aus den USA kommend, uns gewalttätig aufs Aug gedrückt wird. In den USA ist der Freitag nach Thanksgiving der Tag einer Rabattschlacht, der das Weihnachtsgeschäft einläuten soll – wieso er Black Friday heißt, weiß wahrscheinlich niemand. Findige Experten, deren einzige Aufgabe sichtlich darin besteht, uns Bürgerinnen und Bürger zu verblöden und zu willfährigen „immer mehr, immer billiger-Konsumentinnen“ zu machen, haben diesen seltsamen Brauch nun auch zu uns gebracht. An dem bewussten Freitag im November konnte man weder fernsehen noch an Einkaufsstraßen und Shopping-Centern vorbeigehen, ohne von dem Geplärre und den Werbeflächen für supergünstige Einkaufsmöglichkeiten belästigt zu werden.

Wie seriös ist eine Wirtschaft, die uns einreden will, dass wir als Konsumentinnen die Verantwortung dafür haben, was produziert wird, indem wir es kaufen, oder auch nicht, die aber gleichzeitig und flächendeckend eine brutal die Gehirne waschende  Werbemaschinerie anwirft? Und wieso lassen wir uns das gefallen?

Wirtschaft, Soziales und Umwelt kann nur gemeinsam gedacht werden

Der  bolivianische Zukunftsdenker Pablo Solon plädierte bei dem Symposium der Katholischen Frauenbewegung dafür, dass Wirtschaft, Soziales und die Umwelt nur gemeinsam gedacht werden können, weil sie als miteinander verwobenes System insgesamt in einer schweren Krise sind. Pablo Solon ist der Überzeugung, dass erstmals in der Geschichte der Menschheit das gesamte System Erde in gefährdet  ist und dass, wenn wir so weitermachen in 10 Jahren der Point of no return erreicht sein wird. Frauen sind für ihn die Hoffnungsträgerinnen. Sie sind noch immer meist für die Grundversorgung zuständig, sie wählen außerdem weltweit eher Parteien, die sich für nachhaltiges Wirtschaften, solidarische Lebensweise und Umweltbewusstsein einsetzen. Frauen sind auch die Mehrheit bei den politischen Demonstrationen gegen die herrschenden Machtverhältnisse.

Frauen als Reparaturanstalten oder sagen, was ist?

Aber Pablo Solon machte uns auch klar, dass es ohne Kämpfe nicht gehen wird, weil das herrschende System mächtig und überall wirksam ist, wie es uns diese künstlich aufgeblasene Kaufrauschanimationsmaschine Black Friday wieder deutlich vor Augen geführt hat. Da beginnt es schwierig zu werden, denn kämpfen ist nicht die Stärke der Frauen, eher sehen sie sich als Reparaturanstalten für das von den Machthabern angerichtete Fiasko. Aber Pablo Solon sprach deutlich von einer Gegenmacht, die es aufzubauen gilt. Gegen die Macht der Konzerne, die uns nicht nur am Black Friday zu einer manipulierbaren Masse machen wollen, aber auch gegen Politikerinnen und Politiker, die alles daran setzen, uns das Mitgefühl für benachteiligte und arme Menschen abzugewöhnen.

Dagegen hilft zuallererst nur das, was Rosa Luxemburg als revolutionärste Tat bezeichnete, nämlich deutlich zu sagen, was ist. Das klingt unspektakulär, was soll Reden und Protest schon bewirken? Nicht mehr und nicht weniger als ein Schneeballsystem, das klein beginnt, die Herzen und Hirne vieler Menschen zu „verwandeln“ um dadurch tatsächliche Veränderungen möglich zu machen. Und es ist mutig, die Krise im Sorge- und Pflegebereich, den Klimawandel, die Verrohung und Unbarmherzigkeit in der Gesellschaft, das ruinöse Agrobusiness, die aus dem Ruder laufenden Finanzmärkte usw. deutlich anzusprechen und die dafür Verantwortlichen zu benennen und deren Verantwortung einzufordern.

Den Wandel wagen – eine Mutprobe

Diese Mutprobe bedeutet oft auch Liebesverlust, im Freundeskreis, in der Pfarrgemeinde, im politischen Umfeld und innerhalb der Frauengruppen. Aber wie Pablo Solon sagte, ohne zu kämpfen wird es nicht gehen. Es geht aber in diesem Kampf um nichts weniger als um die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder und die Liebe zu ihnen eint uns alle. Deshalb kann es doch nicht so schwer sein, offen und in allen Pfarrgruppen darüber zu sprechen, welchen Beitrag wir als Katholische Frauenbewegung, als Pfarrgemeinde, als Freundeskreis zu einem Systemwandel beitragen können.

Gott hat uns die Behütung der Erde anvertraut – wir machen uns schuldig, wenn wir die Erfüllung dieser Aufgabe nicht an erste Stelle unseres christlichen Handelns stellen. Wir sind damit auch nicht allein, denn überall auf der Welt gibt es Frauengruppen und solidarische Initiativen, die ähnliches denken und tun, das haben unsere Projektpartnerinnen aus El Salvador und Indien beim Symposium deutlich gemacht. Es gilt nichts weniger als der Globalisierung der Konzerne die Globalisierung solidarischer Netzwerke entgegenzusetzen. Wer, wenn nicht wir soll damit beginnen? Und statt des nächsten „Black Friday“ rufen wir einen „bunten Freitag“ aus, wo wir statt gestresst zu „shopppen“, miteinander das Leben und eine gute Zukunft feiern.

Traude Novy, Bloggerin

27.11.2018

Podcast: Zur Lage der Demokratie

Der Politologe und Mediator Christian Wlaschütz im Gespräch über die liberale Demokratie die international in den letzten Jahren deutliche Rückschläge erlitten hat. Er zeigt Herausforderungen für die Demokratie und was der/die Einzelne für das Funktionieren demokratischer Strukturen tun kann.

Betriebsseelsorge St. Pölten: Wer redet hier von Gerechtigkeit?!

Stellungnahme der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Diözese St. Pölten, die im Bereich Kirche und Arbeitswelt tätig sind. „Sie können und wollen nicht schweigen zur aktuellen Situation im Bereich der Arbeitsmarktpolitik.“

Wer redet hier von Gerechtigkeit?!

In der öffentlichen Debatte werden im Augenblick Begriffe verschönt oder gedreht. Wir hören vom Arbeitslosengeld Neu und gemeint ist damit die Streichung der Notstandshilfe. Die Politik redet von Gerechtigkeit, wenn es um die Anliegen der „Fleißigen und Tüchtigen“ geht, aber es passiert eine Umverteilung von unten nach oben. Die Aktion 20.000 wurde zu Jahresbeginn abgesetzt, nun werden die Einsparungen bei den Beschäftigungsprojekten publik. Einige von ihnen müssen überhaupt zusperren. Das betrifft auch andere Sozialeinrichtungen, zum Bespiel Fraueninitiativen. Gleichzeitig gibt es Abgabenerleichterungen für Unternehmen.

Betroffen sind Menschen, die Monat für Monat darum kämpfen über die Runden zu kommen, die hoffen, dass kein Gerät kaputt geht, nichts Außergewöhnliches passiert. Die Mindestsicherung wurde mit dem Blick auf die Ausländer gedeckelt („Man kann doch keiner Pensionistin etwas wegnehmen!“). Doch in NÖ ist nur jeder Siebte Betroffene ein Asylberechtigter, alle anderen sind zumeist Bürgerinnen und Bürger unseres Landes! Von ihnen sind lediglich 28% arbeitslos, aber 25% in Pension, 21% krank oder behindert und 21% erwerbstätig mit zu geringem Einkommen. Im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung ist der Anteil der chronisch Kranken doppelt so hoch, dreimal so hoch der Anteil der Menschen mit Pflegebezug, viermal so hoch die Zahl der Menschen mit Behinderung.

Es sind  Frauen und Männer mit Würde, Menschen mit einmaligen Fähigkeiten, die sie auch gerne einsetzen würden. Aber sie werden von dieser Wirtschaft nicht gebraucht. In Diskussionen wird dann immer wieder behauptet, dass ihnen der Bezug gekürzt und mehr Druck ausgeübt werden muss. Das wird dann positiver Arbeitsanreiz genannt. Betriebe schreien nach Arbeitskräften und lehnen gleichzeitig Bewerber ab, oder sie beklagen keine Fachkräfte zu bekommen und bilden selbst nicht aus. Es geht längst nicht mehr um die Menschen, sondern darum, die Bedürfnisse der Wirtschaft zu erfüllen. Während von den einen verlangt wird 12 Stunden am Tag zu arbeiten bekommen immer mehr nur mehr einen Teilzeitjob.

Viele  Menschen haben Angst. Es ist die Angst nicht bestehen zu können, Angst in der sozialen Leiter abzurutschen, Angst vor der Zukunft. Als Antwort braucht es Zeichen und Räume der Hoffnung. Als Arbeiterseelsorgerinnen und –seelsorger fordern wir mit Blick auf das Evangelium Gerechtigkeit ein: Blinde sehen wieder und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird die Frohe Botschaft verkündet. (Mt 11,5) Wenn Menschen ohne Arbeit, ohne Aussicht sind, dann fühlen sie sich ausgeschlossen. Wir erleben eine Politik der Entsolidarisierung: Wir und die anderen! Damit werden die Schwächsten an den Rand gedrängt, sind draußen. Die Ausgeschlossenen sind nicht nur „Ausgebeutete“, sondern Müll, „Abfall“. (Papst Franciscus im Rundschreiben Evangelii Gaudium 53) Dem gilt entschieden entgegenzutreten. Gerechtigkeit kann nur mit dem Blick auf die Benachteiligten unserer Gesellschaft entstehen und wenn unser Handeln nach ihren Bedürfnissen ausgerichtet wird. Wir können alle dazu beitragen. Dazu braucht es aber auch eine Politik der Solidarität, die sich in einem guten staatlichen Sozialsystem zeigt.

Quelle: http://presse.dsp.at/einrichtungen/kommunikation/artikel/2018/dioezese-st-poelten-feierte-50-jahre-betriebssorge

Traude Novy: Die Seele Europas hat es nie gegeben

Neulich war ich bei einer Veranstaltung der wichtigen Initiative „Christlich geht anders“.

Unter dem Titel „Verliert Europa seine Seele“ wurde da von Personen des öffentlichen Lebens über die Rolle Europas in den derzeit bewegten Zeiten gesprochen. Ich merkte, wie mein Unbehagen mit den trotz kritischer Anklänge doch sehr positiven Bild der EU als Friedensprojekt und als Ort des miteinander Gestaltens, zunehmend wuchs. Ich bin zwar keine „glühende“ Europäerin, aber auch ich schätze es, angesichts der Alternativen, in Europa leben zu dürfen. Das enthebt mich allerdings nicht der Aufgabe, auf dieses europäische Bündnis, wie es geworden ist und wie es sich derzeit darstellt, einen kritischen Blick zu werfen.

Wo bleiben die sozialen Rechte?
In der Diskussion wurde festgestellt, dass eine der wesentlichen Säulen auf denen die europäischen Werte beruhen, die Menschenrechte sind. Ich habe allerdings die Sorge, dass dabei sowohl in der EU als auch bei den europäischen Bürgerinnen und Bürgern zumeist an die bürgerlichen Freiheitsrechte wie Gewissens-, Meinungs- und Religionsfreiheit gedacht wird und seltener an die sozialen Rechte, wie dem Recht auf Nahrung, Wohnung, Gesundheit, Arbeit und an die kulturellen Rechte, wie z.B. Bildung für alle. Die Einlösung dieser sozialen Rechte innerhalb der Staaten der europäischen Union und auch im Verhältnis zu allen Staaten weltweit würde verlangen, dass die soziale Frage mindestens so wichtig genommen würde, wie die vier Grundfreiheiten, auf denen die EU aufbaut, nämlich die Freiheit für Kapital, für Dienstleistungen, für den Warenverkehr und die Personenfreizügigkeit. Denn mehr als von diesen persönlichen und wirtschaftlichen Freiheiten hängt von der Einhaltung der sozialen und kulturellen Menschenrechte das gute Leben der Bürgerinnen und Bürger und auch die Beziehung zu den außereuropäischen Staaten ab.

Konkurrenzkampf in der EU
Ich habe bei der Abstimmung zum Beitritt Österreichs zur EU dagegen gestimmt, obwohl ich ein Vereintes Europa für eine wunderbare Idee gehalten habe. Für mich war aber damals klar, dass diese Europäische Union zu einem neoliberalen Konzept verkommen war und jede Erweiterung die Mitgliedsstaaten nicht zu Überlegungen und Korrekturen bezüglich des zukünftigen Wegs anregen würde, sondern nur zu einem weiter so, nämlich  dazu, ökonomische Liberalisierung, Privatisierungen, Entfesselung des Kapitalmarkts voranzutreiben.  Die Vereinigung der europäischen Staaten führte deshalb im Wirtschaftsbereich nur sehr bedingt zu mehr Kooperation, vor allem entstand ein immer härterer Konkurrenzkampf der Länder untereinander was Steuerschlupflöcher für Konzerne betraf.

Wachsende Kluft zwischen Arm und Reich
Natürlich gibt es nicht nur schwarz-weiß. Die Umverteilungsmechanismen der EU haben z.B. Irland zu einem wohlhabenden Land gemacht und auch österreichischen Randregionen wie dem Burgenland mehr Wohlstand gebracht, die Gleichstellungsambitionen aus Brüssel haben auch Österreich unter Druck gesetzt, bezüglich Frauengleichstellung mehr zu tun. Aber es ist auch nicht zu leugnen, dass in ganz Europa die Schere zwischen Reich und Arm aufgegangen ist und überall nur ein Teil der Bevölkerung vom wachsenden Wohlstand profitiert hat. Mittlerweile ist es so, dass es die Europäische Union bezüglich ihres sozialen Ungleichgewichst es mit jedem Schwellenland aufnehmen könnte, vergleicht man die reichsten Menschen der EU mit den Ärmsten in Bulgarien, Rumänien, Griechenland und auch mit den Roma in der Slowakei. Die Krise des Jahres 2008 und die Aktivitäten zu deren Bewältigung hat die Kluft nur verstärkt.

Verrohung des Bürgertums = Entsolidarisierung
Man darf sich deshalb über das Erstarken rechtsradikaler Tendenzen in allen EU Ländern nicht wundern. Wenn die Konkurrenz jedes gegen jede als wirtschaftliche Grundlage für Wohlstand gesehen wird, so haben Solidarität mit den Schwachen und Empathie für Menschen die aus Kriegs- und Hungerländern zu uns flüchten, keinen Platz. Der Verrohung des europäischen Bürgertums ging dessen Indoktrination mit einzelkämpferischen Slogans wie „Jeder ist seines Glückes Schmied“ voraus und der Verwässerung solidarischer Absicherungen von Lebenskrisen durch Systeme, bei denen man nur das herausbekommen soll, was man auch eingezahlt hat, bedeuten nichts anderes als Entsolidarisierung. Der Druck zu Liberalisierung und Privatisierung der Infrastruktur und der Grundversorgung wird von den Gremien der EU noch immer auf die staatlichen Vorsorgesysteme ausgeübt. Das Menschenbild eines sich eigenständig und unabhängig verwirklichenden Individuums hat das solidarisch für einander Verantwortung tragende Menschenbild der Jahrzehnte nach dem 2. Weltkrieg abgelöst.

Die EU – ein Friedensprojekt?
Gleichzeitig muss man auch die EU als Friedensprojekt relativieren. Maria Katharina Moser hat bei der Veranstaltung über die Seele der EU zu Recht die Erinnerungskultur eingefordert. Ja, es gilt daran zu erinnern, dass der Reichtum Europas auf der Ausbeutung der außereuropäischen Kolonien im 19. Jahrhundert und auch noch auf den ungerechten Handelsstrukturen der einzelnen Mitgliedstaaten und auch der EU mit den Ländern des globalen Südens beruht. Kriege wurden zwar nicht in Kerneuropa geführt, aber an den Rändern. Europa hat dabei nicht immer eine rühmliche Rolle gespielt, ganz abgesehen von den Waffenexporten, durch die diese Kriege erst ermöglicht wurden.

Bürgerkrieg am Balkan von Europa befeuert
Aber es gibt eine besonders schmerzliche Wunde im gegenwärtigen Europa, die noch immer nicht heilen will. Historiker werden einmal die Rolle der EU im Bürgerkrieg am Balkan kritisch beleuchten, aber eines lässt sich jetzt schon sagen. Statt durch massive Wirtschaftshilfe zumindest den Versuch zu machen, Jugoslawien nach Titos Tod zu stabilisieren, taten sich vor allem österreichische Politiker damit hervor, die Auflösung zu beschleunigen. Diesen grauenhaften Bürgerkrieg mitten in Europa hat vor allem meine Generation als traumatisch erlebt, weil die Sicherheit, dass es nach dem Rückfall in die Barbarei des 20. Jahrhunderts  in Europa nie wieder Krieg geben würde, zerbrochen war.

Auf welcher Seite stehen die Kirchen?
Dieser Krieg und die folgenden an den Rändern Europas, haben den Traum von einer friedlicheren Welt zerstört und das Lebensgefühl vieler Menschen grundlegend verändert. Seither ist ein mitleidloser Egoismus in den Staaten dieses Kontinents mehrheitsfähig geworden. Deshalb steht für mich fest, dass es die abstrakte „Seele Europas“ nicht gibt und nie gegeben hat, sondern dass es von der Wiederbelebung der christlichen und humanen Haltung der  Bürgerinnen und Bürger auf diesem Kontinent  abhängen wird, ob wir, wie schon im letzten Jahrhundert, in die Barbarei zurückfallen, oder an der universalen Gültigkeit der Menschenrechte festhalten. Denn wenn immer wieder betont wird, dass die momentane Situation mit der Bestialisierung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht zu vergleichen ist, so muss deutlich gesagt werden, dass auch damals Auschwitz erst  am Ende stand und am Anfang die Verrohung der Mittelschicht schleichend  Einzug in die Gesellschaft gehalten hat. Darüber muss klar und deutlich auch in den Kirchen gesprochen werden, wenn wir uns nicht wie schon so oft auf der falschen Seite wiederfinden wollen.

Traude Novy
Bloggerin
22.10.2018

Regina Polak: Keine Partei in Europa betreibt offensive Armutsbekämpfung

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Wien, 06.10.2018 (KAP) Die Armutsfrage wird in der Gesellschaft ausgeblendet, und gewisse Gruppen werden stigmatisiert und beschuldigt, anderen auf der Tasche zu liegen: Das betonten die Pastoraltheologin Regina Polak und Diakoniedirektorin Maria Katharina Moser bei einer Podiumsdiskussion der Initiative „Christlich geht anders“ am Freitagabend in Wien. Auch der ÖVP-Delegationsleiter im Europaparlament, Othmar Karas, nahm an der Veranstaltung teil.

Ein jahrzehntelang einseitig geführter Diskurs, der von neoliberaler Ökonomie geprägt war, habe Menschen stets nur über Leistung definiert, so Polak. Dadurch werde eine Stimmung verbreitet, dass sich nur jene gesellschaftliche Anerkennung verdienten, die auch ihren Beitrag leisteten. Dennoch müsste man über Vermögen und gerechte Verteilung sprechen, auch wenn das derzeit „nicht schick“ sei Es sei Aufgabe der Kirche mit ihrer Option für die Armen, deren Situation offensiv zur Sprache zu bringen.

Es gebe keine Partei in Europa, die offensive Armutsbekämpfung betreibe, zeigte die Theologin auf. Stattdessen liege das Hauptaugenmerk darauf, die Armen nicht stärker werden zu lassen. Es gebe aber eine immer größere Schicht von Personen, die ziemlich perspektivlos sei und das auch wisse, und zu dieser Gruppe gehörten auch viele junge Menschen. „Diese Menschen tun sich schwer, ihren gesellschaftlichen Beitrag zu leisten, und das wahrscheinlich auf längere Zeit. Mein Eindruck ist, dass die Gesellschaft und die politischen Parteien sich damit abfinden“, so Polak.

Othmar Karas äußerte die Sorge, dass sich Europa das Prinzip, die Würde des Menschen als solche anzuerkennen, rauben lasse. Dann habe die Idee Europa allerdings keine Chance mehr, so der Leiter der ÖVP-Delegation. Er selbst sei aber optimistisch, weil die große Mehrheit der Menschen in der Europäischen Union eine handlungsfähigere, effiziente, demokratische EU wollten.

Die Frage sei, ob diese Mehrheit aufstehen werde, „oder ob wir uns von jenen die öffentliche Meinung bestimmen lassen, die am lautesten schreien“. Letztere würden jeden Tag mit der Botschaft „Nationalismus statt Demokratie“ auftreten. Das sei die Herausforderung. „Es liegt an uns Menschen, was wir für richtig halten, auch mehrheitsfähig zu machen“, appellierte Karas.

Er würdigte die Initiative „Christlich geht anders“. Es zeige sich, „dass wir mehr gemeinsam haben, als man vor der Veranstaltung geglaubt hat, und dass es zwischen Glaube, Hoffnung, christlichem Menschenbild und der Idee Europa einen Zusammenhang gibt“. Wenn man miteinander rede, könne der Grundkonsens, den es unter den Menschen gebe, gestärkt werden.

Maria Katharina Moser, Direktorin der Diakonie Österreich, betonte, dass die Diakonie eine „Stimme der Vernunft“ in der Gesellschaft sein möchte. Diese könne sich am besten Gehör verschaffen, „wenn wir über die Themen reden, die die Menschen tatsächlich bewegen“.

Es werde immer wieder gesagt, dass die Menschen Angst vor Asylproblematik und Flüchtlingen haben. „Das hören wir schon manchmal. Wenn man dann genauer ins Gespräch kommt, merkt man, dass das gar nicht die Sorgen und die Ängste sind“, so Moser. Diese würden sich vielmehr auf die eigene Wertschätzung und die eigene soziale Situation beziehen.

Wörtlich sagte die Theologin: „In Gesprächen höre ich zum Beispiel oft ‚Die Ausländer kriegen alles‘, und wenn dann genauer nachgefragt wird, findet man heraus, dass die Person sich selbst vom AMS oder potenziellen Arbeitgebern schlecht behandelt fühlt.“ Es sei wichtig, sich nicht auf allgemeine populistische Worthülsen einzulassen, sondern auf die wirklichen Probleme zu schauen, denn die würden alle betreffen.

Die Katholische Sozialakademie Österreich (KSÖ) wolle einen Beitrag zu mehr „guter Politik“ leisten, so KSÖ-Direktorin Magdalena Holztrattner. Dabei müsse man dazu bereit sein, auch eigene Positionen zu hinterfragen und auch zu ändern, ohne sich wie ein Fähnchen im Wind zu drehen. Denn um das gemeinsame Ziel eines „Guten Lebens für alle“ müsse gerungen werden.

Quelle: https://www.kathpress.at/goto/meldung/1684256/initiative-christlich-geht-anders-gegen-gruppenstigmatisierung

 

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