Traude Novy: Geschichtsvergessenheit

Vor kurzem konnte man noch sagen „wehret den Anfängen“ wenn durch Amtsträger demokratische Gepflogenheiten Richtung autoritärem Staat verändert wurden.

Über Anfänge scheinen mir aber die derzeitigen Versuche der Regierungsparteien, Menschenrechte und demokratiepolitisches Handeln in Frage zu stellen, weit hinaus zu gehen. Verbale Entgleisungen, wie der Ausspruch, dass das Recht der Politik zu folgen habe, waren Weg bereitend für härtere Kost. Solche Aussprüche dehnen allerdings die Bandbreite dessen, was gesagt werden kann immer weiter aus. Die Diffamierung der organisierten Zivilgesellschaft, wie z.B. der Caritas als „Asyllobby und Geschäftsmodell zulasten der Steuerzahler“ macht Stimmung gegen alle, die für eine solidarische Gesellschaft und zivilgesellschaftliches Engagement eintreten. Von der Missachtung des Parlaments, über das Ausschalten der Sozialpartner bis zur undurchsichtigen, überfallsartigen Hausdurchsuchung beim Geheimdienst häufen sich bedenkliche Machtdemonstrationen der Herrschenden. Dies alles geschieht schleichend und überfordert kontrollierende Institutionen und oft auch die seriösen Medien, weil keine dieser Aktionen für sich allein so gravierend wäre, dass die Alarmglocken bei Bürgerinnen und Bürgern läuten würden – in der Summe aber wird die Messlatte, was in einer Gesellschaft möglich ist und was nicht, weit in Richtung Demokratieabbau verschoben.

Eine Verfassungsänderung einführen zu wollen, um noch nicht straffällig gewordene Ausländer präventiv inhaftieren zu können, übersteigt alles bisher da gewesene bei weitem. Das Wort Sicherungshaft lässt bei historisch gebildeten Menschen beklemmende Erinnerungen wach werden. So etwas kann sich nur jemand ausdenken, der keine Ahnung hat, was mit solchen Gesetzen alles ermöglicht werden kann und der nicht weiß, welche Barbarei durch die Schutzhaft der Nazis ermöglicht wurde und was die Anhaltelager des Austrofaschismus Menschen angetan haben. Ich will an die Möglichkeit gar nicht denken, dass die, die mit solchen historischen Versatzstücken agieren, es ganz bewusst tun, weil in ihnen der Geist dieser Zeit weiterlebt. Die Ignoranz gegenüber der eigenen Geschichte wäre schlimm genug. Wer Flüchtlinge konzentriert unterbringen will, wie es in Drasenhofen ja geschehen ist, hat jedenfalls kein Sensorium für den verbrecherischen Teil der Geschichte unseres Landes. Dank dieser Geschichtsvergessenheit und des schleichenden Hinausschiebens der Grenzen des Unsagbaren hat sich unsere Gesellschaft in den letzten Jahren bereits tiefgreifend verändert. Die gute Mitte unseres Gemeinwesens wurde immer weiter an den Rand gedrängt und die unbarmherzige rohe Mitte der unaufgeklärten Selbstinszenierer übernahm das Ruder und bestimmt den öffentlichen Diskurs.

Erich Kästner sagte im Jahr 1958 „ Die Ereignisse von 1938 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen – später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis Freiheitskampf Landesverrat genannt wird.“ Das sollten jene bedenken, die von der Unvergleichbarkeit der Zeit des Faschismus mit der Gegenwart sprechen. Auch der Faschismus hat nicht mit Ausschwitz begonnen, sondern mit den kleinen Schritten der Einschränkung der Freiheitsrechte von Minderheiten und politisch Unliebsamen.

Wenn also heute in unserem Land, dessen Bewohner doch mit dem Wort „Schutzhaft“ grauenhafte Menschenrechtsverletzung verbinden müssten, von „vorbeugender Sicherungshaft“ gesprochen wird und ein sozialistischer Landeshauptmann, der von seinem erlernten Beruf Polizist ist, diese Haft auch noch auf alle Bevölkerungsteile ausdehnen will, ohne dazu zu sagen, dass es eine Verfassungsänderung, die nur Ausländer betrifft, gar nicht geben kann, ist höchste Aufmerksamkeit geboten.  Wenn in einer Nacht- und Nebelaktion „Erstaufnahmezentren“ in „Rückkehrzentren“ umbenannt werden, kommt geschichtsbewussten Menschen das Wort „Deportation“ in den Sinn. Wenn gut integrierte Asylwerber, die als Lehrlinge wertvolle Arbeit leisten, in Länder abgeschoben werden, die „künstlich“ zu sicheren Herkunftsländern aufgemotzt wurden, wie z.B. Afghanistan, widerspricht diese Handlungsweise sogar jeder Vernunft. Bei demokratisch und humanistisch gesinnten Bürgerinnen und Bürgern müssten spätestens da alle Alarmglocken zu läuten beginnen.

Den Migrationspakt der UNO nicht zu unterzeichnen, ist nur ein weiteres Mosaiksteinchen im Gesamtbild. Es erzeugt natürlich Unsicherheit, dass die Grenzen zwischen Asyl und Migration fließend geworden sind. Das hängt aber auch damit zusammen, dass es eine legale Einwanderung aus Afrika und Asien schlicht nicht mehr möglich ist. Es gab einmal Zeiten, wo Personen aus diesen Ländern ganz problemlos zum Studieren hierher kommen konnten und ausländische Arbeitskräfte dringend gesucht wurden. Wir müssen nur in unsere Spitäler, Pflegeheime und auch in die privaten Haushalte schauen, um zu wissen, dass ohne diese Menschen unser Sozialsystem, aber auch Teile unserer Wirtschaft kollabieren würden. Es waren durchaus nicht nur formell qualifizierte Personen, die ja auch heute mittels „Rot-Weiß-Rot-Card“ ins Land gelockt werden sollen, sondern viele Menschen, die ihre Qualifikationen hier erst erworben haben – das ist heute nicht mehr möglich, wie das Beispiel der vor der Abschiebung stehenden Lehrlinge zeigt.

Was aber können wir tun, angesichts der uns immer wieder vermittelten Tatsache, dass die Mehrheit in Österreich und in ganz Europa eben bereit ist, Demokratieabbau und Einschränkung der Menschenrechte in Kauf zu nehmen, nur um sich nicht den wirklichen Herausforderungen stellen zu müssen?  Ich weiß es auch nicht. Aber eines weiß ich, ich möchte alles tun, damit in unserem Land die solidarischen und demokratischen Maßstäbe der Mehrheit wieder in Richtung einer humanen und zivilisierten Gesellschaft verschoben werden. Wir haben keine Machtmittel, wir können nur dort wo wir Einfluss haben, über die drohende Gefährdung unserer aufgeklärten Demokratie reden und überall versuchen, ein menschenfreundliches Klima zu verbreiten. Es ist eben auch so, dass viele Tropfen auf heißen Steinen das Klima verändern.

Ja, und was wir noch tun können, wäre bei der Europa-Wahl ein Zeichen zu setzen und all jenen die rote Karte zu zeigen, die die bei dem unwürdigen Spiel der Stimmenmaximierung durch Inhumanität mitspielen. Und da sollten wir auch die Chuzpe durchschauen, wenn eine Partei, die aus machtpolitischen Gründen das Spiel der zunehmenden Inhumanisierung mitspielt, einen menschenfreundlichen Kandidaten aufstellt, der nur die Feigenblatt-Funktion in einer Runde von ScharfmacherInnen hat.

Traude Novy, Bloggerin

6. März 2019

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