Josef Christian Aigner: Himmelschreiendes Unrecht.

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Corona und Österreichs Kirchenpolitik. Die kritische Analyse des Papstes berührt auch Konflikte in Österreichs Kirche.

In den Diskussionen über die Coronakrise wurden die sozialen und gesellschaftlichen Aspekte der Pandemie wie die drohenden Ungerechtigkeiten bei ihrer Bekämpfung kaum beachtet. Wieder einmal scheint es Papst Franziskus zu sein, der eine radikale kritische Analyse solcher Zusammenhänge vorlegt.

In einer Generalaudienz Ende August prangerte er die wachsende soziale Ungleichheit durch die Coronakrise an, die im Vergleich zum „kleinen“ Coronavirus ein „großes Virus“ sei. Die Pandemie habe viele Probleme erst wieder bewusst gemacht und „die sozialen Probleme und die Ungerechtigkeiten noch mehr verschärft“. Die angestrebte „Normalität“ dürfe nicht die alte sein, nämlich die einer „kranken“ Wirtschaft, die durch Maßlosigkeit und ungerechte Verteilung gekennzeichnet sei. Aus Krisen solle man lernen und nicht zum Zustand vor der Krise zurückkehren.  

Bei allem Verständnis für ein Wiederhochfahren der Wirtschaft müsste es dabei um eine Wirtschaft gehen, die wirklich „den Menschen“, besonders die Ärmsten auf der Welt, in den Mittelpunkt stellt. Dass wenige Reiche mehr besäßen als der Rest der Welt, führe auch zu ungleichen Behandlungschancen, was ein „himmelschreiendes Unrecht“ und eine „soziale Krankheit“ sei. Niemals dürften Impfstoffe ungerecht verteilt werden, forderte der Papst. Der „Homo sapiens“ sei zu einem berechnenden „Homo oeconomicus (…) im schlimmsten Sinn geworden“; dazu dürften Christen nicht schweigen.  

Oder sollten sie das doch? Besondere Brisanz erhält dieser aufrüttelnde Appell nämlich insofern, als er in Österreich (wie in anderen Ländern) einen Konflikt zwischen sozialkritischen katholischen Initiativen und konservativen politischen Kräften berührt. Letztere scheinen mit der kritischen sozialpolitischen Linie des Papstes wenig Freude zu haben. Dieser Konflikt könnte deshalb auch in der beabsichtigten „Neuaufstellung“ der Katholischen Sozialakademie Österreichs (Ksoe) durch die Österreichische Bischofskonferenz eine Rolle spielen.

Denn die Ksoe weiß sich in sozialen und wirtschaftspolitischen Fragen in großer Übereinstimmung mit Papst Franziskus. Soll diese Institution nun deshalb diszipliniert werden? Offiziell ist von „Neustrukturierung“ wegen finanzieller Probleme die Rede. Dahinter vermuten kritische BeobachterInnen aber eine von der türkisen ÖVP lancierte Intervention, die u. a. ausdrücklich eine „Zurückhaltung“ der Kirche bei sozialkritischen Aussagen des Papstes und in der Flüchtlingspolitik zum Gegenstand gehabt haben soll.  

ÖVP-Interventionen? Man weiß ja, dass zu den engsten Beratern von Kanzler Kurz der an einer erzkonservativen Opus Dei-Universität ausgebildete Bernhard Bonelli gehört, sodass eine politische Intervention durchaus vorstellbar ist. Andererseits könnte eine Institution wie die Ksoe, die zumindest implizit die Kritik der Inanspruchnahme des Labels „christlich-sozial“ durch die türkise ÖVP fördert, tatsächlich ein Ärgernis sein. Jedenfalls wäre es peinlich, wenn sich die Bischöfe gegen eine Institution wenden, deren Interpretation der Katholischen Soziallehre sich an Positionen des Papstes orientiert.

Der Theologe und Ksoe-Kuratoriums-Mitglied Severin Renoldner meinte deshalb, dass Franziskus empört wäre, würde er von diesem Disziplinierungsversuch wissen. Es bleibt abzuwarten, wie die Bischöfe auf die zahlreichen und namhaften Proteste aus dem kirchlichen Bereich reagieren. Gemessen an den Worten von Franziskus hat sich die Ksoe jedenfalls nichts zuschulden kommen lassen. Im Gegenteil.“

Univ.-Prof. Dr. Josef Christian Aigner ist Bildungswissenschafter, Psychoanalytiker und ehem. Leiter des Instituts für Psychosoziale Intervention an der Universität Innsbruck.

1 Comment

  1. Mein diesbezüglicher Leserbrief an Die Presse:
    „Himmelschreiendes Unrecht“ von Univ.-Prof. Dr. Josef Christian Aigner, 14. 9.
    Ich nehme schon an, daß die Österreichischen Bischöfe nicht papstfeindlich gesinnt sind. Aber die damals amtierenden Bischöfe haben sich an der Solidaritätsaktion „Pro Pope Francis“ von P. M. Zulehner bewußt nicht beteiligt, ausgenommen der seinerzeit viel geschmähte Bischof Alois Schwarz! Das zeigt, daß sich die Loyalität der Bischöfe mit Papst Franziskus eher in Grenzen hält. Daher wundert es mich nicht, wenn sich die Bischöfe gegen eine Institution wenden, deren Interpretation der Katholischen Soziallehre sich an der Position des Papstes orientiert. Dies ist, wie sozialkritische katholische Initiativen und auch offenbar der Theologe Severin Renoldner vermuten, nämlich die Wirkung der angeblich aus finanziellen Gründen beabsichtigten sogenannten “Neuaufstellung“ der Katholischen Sozialakademie Österreichs (Ksoe). Wenn sich die Bischöfe dabei einer Intervention der ÖVP, der kritische Aussagen zur Sozial- und Flüchtlingspolitik unangenehm sind, gebeugt haben, wie manche vermuten, würde dies mein Vertrauen der BIKO gegenüber ein weiteres Mal sehr erschüttern. Als Mitglied dieser katholischen Kirche verlange ich, daß unsere Bischöfe auf die zahlreichen und namhaften Proteste aus dem kirchlichen Bereich reagieren. Das könnte dem Vertrauen ihnen gegenüber nur dienlich sein, das auch schon durch die Auflösung des Afro-Asiatischen Institutes sehr gemindert worden ist.
    Dipl.-Ing. Josef Ruffer, unbesoldeter Diakon in Maria Enzersdorf und Hinterbrühl

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