Wien (OTS) – Die Initiative „Christlich geht anders“ setzt sich für einen dichteren Sozialstaat und eine gerechtere Verteilung in der Gesellschaft ein. Mit einem Flashmob am Wiener Stephansplatz erhob die ökumenische Initiative am 6.10.2017 Vormittag lautstark und präsent ihre Stimme. Redner und Rednerinnen aus unterschiedlichen Bereichen öffneten Perspektiven und präsentierten Antworten und Lösungsansätze.
Die Ordensgemeinschaften Österreich wurden durch Abtpräses Christian Haidinger vertreten, er machte ganz klar: „Wir können nicht mit ansehen und passiv daneben stehen, wenn auf die großen sozialen Fragen entsolidarisierende Antworten gegeben werden. Es braucht eine gerechte Besteuerung, damit das soziale Netz nicht kleiner, sondern für alle und mit allen tragfähiger wird.“ Angesichts der wachsenden Not an den „Rändern der Gesellschaft“, an die Papst Franziskus Christen und Christinnen ausdrücklich rufe, gelte es, „die Stimme zu erheben, denn individuelles Gewinnstreben dominiert gelebte Solidarität und der Sozialstaat wird als Feind stilisiert.“
Der Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister wies auf den großen Irrtum hin: „Flüchtlinge, Zuwanderer oder einfach nur „das System“ oder „die EU“ werden verantwortlich dafür gemacht, dass es vermeintlich nicht mehr für alle reicht und Leistungen des Sozialstaats gekürzt werden müssen.“ Tatsächlich habe eine neoliberale Wirtschaftspolitik Armut und Ausgrenzung vorangetrieben, sei die Schwächung des Sozialstaats zu einem sogenannten „Sachzwang“ gemacht worden.
„Ein starker Sozialstaat ist möglich“, postulierte die Vorsitzende der Katholischen Frauenbewegung Österreichs, Veronika Pernsteiner:
„Er ist das Ergebnis politischer Entscheidungen: für eine gerechte Umverteilung, für ein Bekenntnis zur Würde eines jeden Menschen und für seine existenzielle Absicherung unabhängig von Herkunft, Leistung und Geschlecht.“ Pernsteiner wies darauf hin, dass dort, wo der Sozialstaat in Frage gestellt, geschmälert oder gar abgebaut würde, zuvorderst die Schwächsten litten, Migranten, Flüchtlinge und Frauen, „weil Frauen ohnehin schon benachteiligt sind, als Alleinerzieherinnen, Niedrigverdienerinnen oder Zuständige für nicht entlohnte Sorgearbeit“.
„Sozialstaatliche Absicherungen sind dringender denn je“, so auch Flashmob-Teilnehmer und Sozialstaats-Experte Emmerich Tálos, Mitinitiator des Sozialstaatsvolksbegehrens aus dem Jahr 2002: „Die Politik ist gefordert, sozial gerechte Maßnahmen zu setzen, damit der soziale Grundwasserspiegel in unseren Gesellschaften wieder steigt.“
Elisabeth Mayer, Präsidentin der Katholischen Aktion Salzburg, warnte in ihrem Statement vor Angst und Misstrauen: „Das Schüren von Ängsten darf nicht durch Wählerstimmen belohnt werden. Christlich geht anders: Hoffnung statt Angst, Aufbauen statt Niedermachen, Integrieren statt Ausgrenzen“. In diesem Sinne verstünde sie auch den Auftrag der Katholischen Aktion: „KA – keine Angst!“.
Die Initiative „Christlich geht anders“ wird von zahlreichen Organisationen und Einzelpersonen getragen. Sie engagiert sich unter Berufung auf die christliche Soziallehre, das „Sozialwort der christlichen Kirchen in Österreich“ sowie Positionierungen von Papst Franziskus für ein solidarisches Miteinander in der Gesellschaft auf Basis eines starken Sozialstaates und einer gerechten Verteilung von Ressourcen und Teilhabechancen. „Reden wir über solidarische Antworten auf die soziale Frage“, lautete die Aufforderung der Initiative an die Öffentlichkeit beim Flashmob vor dem Wiener Stephansdom.
In Kürze finden Sie einen Videobeitrag des Flashmobs auf www.ordensgemeinschaften.at
Einladung zum Flashmob von „Christlich geht anders“
Reden wir über solidarische Antworten auf die soziale Frage.
Freitag, 6. Oktober 2017 9.30 Uhr Stephansdom, Riesentor
Mit Redebeiträgen von:
Elisabeth Mayer (Katholische Aktion Österreich, Präsidentin KA Salzburg.)
Stephan Schulmeister (Wirtschaftsforscher)
Emmerich Tálos (Sozialstaatsexperte, Univ.Prof. i.R.)
Veronika Pernsteiner (Vorsitzende kfb – Kath. Frauenbewegung Österreichs)
Abtpräses Christian Haidinger (Vorsitzender d. männlichen Ordensgemeinschaften)
Wir sind mitten im Intensivwahlkampf. Populistische Vereinfachungen und Scheinlösungen dominieren zunehmend die politische Debatte. Wo aber sind die solidarischen Antworten auf die soziale Frage von heute – in einem christlichen und humanistischen Sinn?
Die Initiative „Christlich geht anders“ ist überparteilich und ökumenisch. Sie möchte Mut und Hoffnung machen und den sozialen Zusammenhalt stärken. Die gleiche Würde aller Menschen und soziale Gerechtigkeit sind zentrale Anliegen. Mit diesem Flashmob möchten wir ein deutliches Zeichen setzen – auch in diesem Wahlkampf. Wir laden Dich/Sie sehr herzlich ein, sich dafür Zeit zu nehmen.
Reden wir über solidarische Antworten auf die soziale Frage von heute: Wie entwickeln wir unseren Sozialstaat weiter? Wie gestalten wir dafür unser Steuersystem gerechter? Was tun wir, damit ein gutes Leben für alle Menschen möglich wird?
www.christlichgehtanders.at
https://www.facebook.com/christlichgehtanders/ #christlichgehtanders
Podiumsdiskussion „Christlich geht anders“
Mittwoch, 4.10.2017, 19 Uhr, 3500 Krems, BRG Ringstraße, E.Hofbauerstraße
Abtpräses Christian Haidinger, Vorsitzender der Superiorenkonferenz
Gabriele Kienesberger, Koordinatorin von „Christlich geht anders“
Reinhard Resch, SPÖ, Bürgermeister der Stadt Krems;
Lukas Mandl, ÖVP, Abgeordneter & Europaausschuss-Vors. Landtag, Vizgebgm. Gerasdorf
Andreas Karlsböck, FPÖ angefragt
Daniel Landau, Grüne; Lehrer, Kandidat zum NR, Bereiche Bildung, Kunst und Kultur
Wolfgang Mahrer, Gemeinderat, parteiloser Kandidat von KPÖplus
Robert Reischer, Liste Pilz, Sozial- und Grundeinkommensexperte
Moderation: Eva Vetter
Die Initiative „Christlich geht anders“ möchte das Ziel der sozialen Gerechtigkeit ins Zentrum der gesellschaftspolitischen Debatten rücken. Die UnterzeichnerInnen aus verschiedenen christlichen Kirchen und der Zivilgesellschaft unterstützen damit sechs zentrale Anliegen: 1. Die Einheit von Gottes- und Nächstenliebe steht im Zentrum des christlichen Glaubens. Sie wird gelebt durch den Einsatz für Mitmenschen und für Gerechtigkeit in der Gesellschaft. 2. Christlicher Glaube macht Mut und Hoffnung. Wer Ängste schürt und Menschen gegeneinander ausspielt, zerstört den gesellschaftlichen Zusammenhalt. 3. ChristInnen sind solidarisch mit den Benachteiligten. Die Liebe zu Gott ist untrennbar mit der Sorge um diese Menschen verbunden. 4. Kirchen fordern einen aktiven Sozialstaat. Gegenseitig schützen wir uns so vor den Grundrisiken des Lebens: Erwerbslosigkeit, Prekarisierung, Armut und Not. 5. Ein gerechtes und soziales Steuersystem ist im Sinne der Kirchen. Wir lehnen daher eine Steuerpolitik ab, die viele übermäßig belastet, Vermögen und hohe Einkommen aber schont. 6. Als ChristInnen fordern wir angesichts der ökologischen und sozialen Herausforderungen ein Gutes Leben für alle in Frieden und sozialer Gerechtigkeit.
Die Katholische Aktion St. Pölten und ein Kremser Personenkomitee laden PolitikerInnen der Parteien, die für die Nationalratswahlen im Oktober kandidieren, zu einer Diskussion über diese Anliegen ein. Abtpräses Christian Haidinger, Vorsitzender der Superiorenkonferenz der männlichen Orden Österreichs, und Gabriele Kienesberger, Koordinatorin von „Christlich geht anders“, werden die Initiative präsentieren und mit den Parteienvertretern und dem Publikum in ein Gespräch darüber eintreten. Ziel der Veranstaltung ist es, sich eine fundierte Meinung über die Positionen der politischen Parteien zu Fragen nach ihren „christlichen Werten“ und ihren Antworten auf das Thema der sozialen Gerechtigkeit bilden zu können.
Armin Haiderer, Präsident der Katholischen Aktion der Diözese St.Pölten Pete Hämmerle, Internationaler Versöhnungsbund; Hubert Gaisbauer, Autor; Alfred Endelweber; Roswitha Petz, Pfarrerin; Helmut Buchegger, Pfarrer; Madlene Hochleitner, Maria Mayer-Schwingenschlögl
http://www.christlichgehtanders.at
Theologin Holztrattner und Wirtschaftsforscher Schulmeister präsentierten neue Initiative „Christlich geht anders“, die solidarische Antworten auf die soziale Frage sucht.
Ein klares Bekenntnis zu einem gut ausgebauten Sozialstaat gaben am 20.6.2017 beim ksoe-Frühstück in Kooperation mit den Jesuiten Österreichs in Wien VertreterInnen der Initiative „Christlich geht anders. Solidarische Antworten auf die soziale Frage“ ab. Magdalena Holztrattner, Leiterin der ksoe (Kath. Sozialakademie Österreichs): „Uns eint das Bekenntnis zum Sozialstaat und zu den Menschenrechten.“ Erinnert wurde daran, dass das Ökumenische Sozialwort einen aktiven und gut ausgebauten Sozialstaat einfordert.
In Hinblick auf den laufenden Wahlkampf sagte die Theologin: Die Politik müsse die Ängste der Menschen von heute ernst nehmen, sie dürfe diese aber nicht schüren. Holztrattner zitierte auch P. Franz Helm, den Generalsekretär der Ordensgemeinschaften Österreich, einem prononcierten Vertreter der Initiative „Christlich geht anders“: Es gehe darum, „mit den sechs Punkten der Initiative in der Hand“ mit möglichst vielen Menschen ins Gespräch zu kommen.
Der Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister, der die Initiative ebenfalls unterstützt, sagte, dass die neoliberale „Gesellschaftsphilosophie“, wie sie seit Jahrzehnten den Ton angibt, in diametralem Gegensatz zu christlichen Überzeugungen stehe. Denn sie nimmt an, dass Menschen nur eigennützige Wesen sind, deren Egoismus durch eine „unsichtbare Hand des Markts“ ins allgemeine Beste verwandelt würde. Ein solches Denken führe unweigerlich zu einer Entmündigung von Menschen und zu einer Entmoralisierung. Selbst die demokratisch legitimierte Politik müsse sich „den Märkten“– damit sind die Finanzmärkte gemeint – unterwerfen.
Schulmeister erinnerte an die österreichische und europäische Tradition der sozialen Marktwirtschaft, in der die Gegensätze von Kooperation und Konkurrenz, wie die von Eigennutz und institutioneller Sicherheit (d.h. Sozialstaat) ausbalanciert worden sind. Angesichts wachsender Unzufriedenheit, Ungleichheit und Armut müsse weiter an einem stabilen Wirtschaftspfad und am Sozialstaat gebaut werden, so Schulmeister.
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„Unser Traum ist es, dass Menschen mit dem den sechs Grundpositionen der Initiative in der Hand miteinander ins Gespräch kommen und sich darüber austauschen, wie eine christliche Politik wirklich ausschaut“, so Helm. Politische Bewusstseinsbildung sollte dort anfangen, „wo wir zu Hause sind, in unseren Familien, Pfarrgemeinden oder in der Nachbarschaft“. Helm kritisierte jene politischen Strömungen, „die als die großen Verteidiger des christlichen Abendlandes auftreten, dann aber aushöhlen, was wirklich christlich ist, in dem sie unsolidarisch auftreten, Menschen gegeneinander ausspielen und Feindbilder schaffen, nur um politisch davon zu profitieren“. Es gehe um eine Politik, „die den Namen christlich wirklich verdient“.
Kritik kam am im „Quo vadis“ auch an der von der oberösterreichischen Landesregierung beschlossenen Deckelung der Mindestsicherung. Notleidenden auch noch vom Existenzminimum etwas zu streichen, hielt der Wirtschaftsforscher Schulmeister für „einen Witz“. Ein „linkes Programm“ sei die Initiative nicht, sondern eine „Art Defensivfront quer zu allen traditionellen Lager, die in unserem Fall nicht nur aber sehr stark von christlicher Motivation getragen ist“. Der gemeinsame Nenner aller Beteiligten sei das Bekenntnis zum Sozialstaat, „der in den letzten Jahren immer mehr ausgehöhlt wird“.
Von der Initiative erwarte er sich „sehr viel“, denn anders als bei einem Volksbegehren steuere diese nicht auf einen Höhepunkt zu und flache dann wieder ab, sondern könne langsam aber kontinuierlich weiterwachsen. Es gehe nicht darum, „seitenlange Ergüsse zu verfassen“, sondern sich im Namen der Initiative immer wieder kurz und prägnant zu aktuellen politischen Themen zu Wort zu melden. Eine Gesellschaft, in der jeder nur nach seinem eigenen Vorteil trachte, sei keine denkbare Alternative, so Schulmeister, der die aktuell vorherrschenden Wirtschaftstheorien kritisierte, zumal die propagierte Marktfreiheit in Kombination mit „knallhartem Egoismus“ nicht aus der Krise führen könne. Im Blick auf Initiativen wie „Christlich geht anders“ zeigte sich Schulmeister überzeugt, „dass 70 bis 80 Prozent der Österreicher hinter den Kernforderungen stehen, würde man sie nur direkt fragen“.
Ein klares Bekenntnis legte der Ökonom auch zu einer Vermögenssteuer ab. Nettovermögen ab rund 100.000 Euro sollten mit 0,5 Prozent besteuert werden, „das tut den Reichen nicht weh“. Fakt sei, dass es immer wieder Vermögende gäbe, die freiwillig spenden, „aber wir brauchen hier einen Hebel, der gesetzlich greift“, denn, „wenn das nicht politisch erzwungen wird, wird es immer viele geben, die es einfach nicht tun“.
Den Ansporn der Katholischen Jugend sich an der Initiative zu beteiligten, legte Vera Hofbauer dar. „Wir wollen Jugendliche für globale Zusammenhänge und gesellschaftliche Vorgänge sensibilisieren und sie zu sozialem, politischem Engagement ermutigen.“ Das Bibelwort „Ihr seid das Salz der Erde“ sei zugleich Auftrag, der „mit Leben gefüllt werden muss“. Als Rückendeckung dafür verstehe die KJ die Aussagen von Papst Franziskus beim letzjährigen Weltjugendtag in Krakau, der die Jugendlichen dazu aufrief, hinauszugehen und die Welt zu gestalten.
Ökumenische Initiative
Den Grundtext zur Initiative haben bereits im Herbst des Vorjahrs rund 100 Erstunterzeichner unterschrieben, darunter u.a. ÖRKÖ-Vorsitzender Landessuperintendent Thomas Hennefeld, der serbische Bischof Andrej Cilerdzic, die Präsidentin der Katholischen Aktion, Gerda Schaffelhofer, zahlreiche Professorinnen und Professoren der Theologischen Fakultäten oder auch die Spitzenvertreter der heimischen Ordensgemeinschaften, Abtpräses Christian Haidinger und Sr. Beatrix Mayrhofer.
Der Inhalt des Grundtextes ist wesentlich vom Ökumenischen Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) aus dem Jahr 2003 inspiriert, aber auch vom Projekt „Solidarische Gemeinde“, in dem die Ergebnisse des Prozesses „sozialwort 10+“ im Jahr 2013 zusammengefasst wurden. Koordiniert wird die Initiative von der Katholischen Sozialakademie (ksoe).
(Infos: „www.christlichgehtanders.at)
Der autoritäre Pfad ist ein Lernprogramm aus Ungarn, Polen und auch anderswo. Der erste Schritt besteht darin gegen Minderheiten zu mobilisieren. Das können Flüchtlinge sein, oder Roma, jedenfalls Gruppen, die sich gut eignen zu den „Anderen“ gemacht zu werden. „Othering“ nennt diesen Vorgang die Forschung. Das Böse kommt von außen, das ist die Grundfigur. Im Schritt Zwei werden Armutsbetroffene schikaniert. Obdachlose in Budapest, Mindestsicherung hier, Arbeitslose dort. Für diejenigen ganz unten auf der sozialen Leiter werden soziale Grundrechte außer Kraft gesetzt oder bewusst umgangen. Schritt Drei auf dem autoritären Pfad heißt Demonstrationsrecht einschränken und Höchstgerichte aushebeln. Das kennen wir aus Polen, aber auch aus Spanien nach den Protesten gegen Sozialeinschnitte in Folge der Finanzkrise. Der nächste Schritt Nummer Vier nimmt die NGOs und Zivilgesellschaft ins Visier und versucht sie zu denunzieren und zu schwächen. Das ist ein durchgehendes Muster aus Polen, Ungarn, Russland oder der Türkei. Im fünften Schritt werden dann kritische Journalist_innen unter Druck gesetzt.
Der autoritäre Pfad ist ein Lernprogramm aus Ungarn, Polen und anderswo. Auch hierzulande haben sich schon einige auf den Weg gemacht. Wir bekämpfen nicht die Armut sondern die Armen. Wir bekämpfen nicht die Obdachlosigkeit, sondern die Obdachlosen. Wir bekämpfen nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die Arbeitslosen. Wir bekämpfen nicht das Ertrinken, sondern die Lebensretter. Wir bekämpfen nicht die Missstände, sondern die Zivilgesellschaft, die sie aufdeckt. Wir bekämpfen nicht autoritäre Tendenzen, sondern die Grundrechte.
Wer den autoritären Pfad betritt, trampelt pluralistische Wahrnehmung zur Seite, versucht sich unserer Sinne zu bemächtigen und alles als „normal“ darzustellen. „Jeder Schritt war so winzig, so belanglos, so plausibel gerechtfertigt oder gelegentlich auch ›bereut‹, dass auf täglicher Basis niemand verstand, was das Ganze im Prinzip bedeuten sollte, und wohin all diese ›winzigen Maßnahmen‹ eines Tages führen würden. Auf täglicher Basis verstand es keiner, genau so wenig wie ein Bauer in seinem Feld sein Getreide von einem Tag auf den nächsten wachsen sieht. Jede Handlung ist aber schlimmer als die letzte, doch nur ein wenig schlimmer. Du wartest auf das ganz große schockierende Ereignis und denkst, dass die Anderen dich bei deinem Widerstand irgendwie unterstützen werden, wenn solch ein Schock kommt.“ Das schrieb Milton Mayer in seiner Studie über Erfahrungen von Leuten der 1930er Jahre in Deutschland. Und weiter: „Die äußerlichen Formen sind alle vorhanden, alle unberührt, alle beruhigend: die Häuser, die Geschäfte, die Mahlzeiten, die Besuche, die Konzerte, das Kino, die Ferien. Aber der Geist, den du niemals bemerkt hast, weil du ein Leben lang den Fehler gemacht hast, dich mit den äußerlichen Formen zu identifizieren, hat sich verändert. Nun lebst du in einer Welt bestehend aus Hass und Furcht, und die Leute, die hassen und fürchten, wissen nicht einmal selbst, dass, wenn jeder transformiert ist, keiner transformiert ist. Du hast Dinge akzeptiert, die du vor fünf Jahren nicht akzeptiert hättest; oder vor einem Jahr.“
Martin Schenk-Mair, Diakonie Österreich
Stv. Direktor, Grundlagenreferat – Sozialpolitik
Dieser Artikel erschien in der Strassenzeitung „Augustin“
Ich unterstütze diese Bewegung, weil die große Mehrheit der Menschen in Österreich nicht glaubt, dass wir alle nur Individuen sind, die nach ihrem persönlichen Vorteil streben durch Konkurrenz mit den anderen. Sie wissen: Wir sind aufeinander angewiesen und es geht uns gut, wenn es auch anderen gut geht. Die meisten ÖsterreicherInnen wollen einen starken Sozialstaat als institutionalisierte Solidarität, weil sie wissen, dass sie selbst und die meisten anderen Menschen ihn brauchen.
Doch die Eliten predigen seit Jahren, dass nur stärkere Konkurrenzfähigkeit und individueller Leistungswille uns aus der Krise führen können. Deshalb dürfe man den Armen höchstens das Existenzminimum gewähren, sonst machen die es sich in der „sozialen Hängematte“ bequem. Im Namen der Eigenverantwortung soll der Sozialstaat weiter verschlankt werden. Doch die allermeisten Arbeitslosen und prekär Beschäftigten wollen etwas leisten, es gibt aber viel zu wenig „normale“ Arbeitsplätze.
Christliche Grundwerte überwinden Gegensatz von Egoismus und Moral
Christliche Grundwerte haben die europäische Kultur geprägt. Sie überwinden die Gegensätze zwischen Egoismus und Moral, zwischen individuellem Glücksstreben und sozialem Zusammenhalt, zwischen dem Menschen als Einzelnem und als soziales Wesen durch die Einheit von Selbstliebe, Nächstenliebe und Gottesliebe. Insofern sind die europäischen Grundwerte „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit/Geschwisterlichkeit“ ebenso in der christlichen Tradition Europas verwurzelt wie die Ideale der ArbeiterInnenbewegung.
Individuelle Freiheit UND sozialer Zusammenhalt
„Christlich geht anders“ wendet sich an alle Menschen, denen die Verbindung von individueller Freiheit und sozialem Zusammenhalt, von Eigennutz und Solidarität, ein Anliegen ist, und die diese christlich-europäischen Grundwerte bedroht sehen – und zwar sowohl von den „ent-sozialdemokratisierten“ und „ent-christlichten“ Traditionsparteien als auch von den nationalistisch-sozialen Populisten, die Menschengruppen gegeneinander ausspielen und im Christentum eine europäische „Abwehrideologie“ gegen Fremde aller Art sehen.
Warum soll ich unterschreiben?
Daher mögen alle, denen die christlich-europäischen Grundwerte wichtig sind, diese Bewegung unterstützen, egal, ob sie religiös sind oder nicht, ob sie bei einer Kirche sind oder nicht. Es geht darum, ein breite „Abwehrfront“ wachsen zu lassen, quer über traditionelle Ideologien oder politische Lager. Die Mobilisierung Gleichgesinnter ist das Ziel, nicht eine bestimmte Zahl von Unterstützungserklärungen. Aber wenn es mehr als 1 Million sind und ihre Zahl wächst und wächst, dann werden die Eliten hinhören auf die Stimmen der nicht mehr schweigenden Mehrheit. Solidarität bedeutet ja nicht Selbstlosigkeit üben, sondern soziales Eigeninteresse verfolgen.
Stephan Schulmeister, Wirtschaftsforscher
stephan.schulmeister@wifo.ac.at
http://stephan.schulmeister.wifo.ac.at/
„Christlich geht anders. Solidarische Antworten auf die soziale Frage“
Ort: Quo vadis, 1010 Wien, Stephansplatz 6
Zeit: 9. 6. 2017 21-22 Uhr
Gespräch: Stephan Schulmeister, Wirtschaftsforscher; Vera Hofbauer, Vorsitzende der Katholischen Jugend Österreich; P. Franz Helm SVD, Ordensgemeinschaften; Sr. Karin Weiler CS, Caritas Socialis
Interaktive Auseinandersetzung mit den Grundanliegen von „Christlich geht anders“
Veranstalter: Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis mit Katholische Sozialakademie Österreichs (ksoe) als Koordinatorin der Kampagne „Christlich geht anders“