Dezember 31, 2017

Leo Lukas: Ich werde es ihnen nicht geben, unser Bestes.

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Ich gebe zu, dass ich mit meiner Einschätzung der neuen Regierung total falsch liegen könnte.

Schließlich habe ich mich schon oft geirrt. Aber hallo, keine Frage!

Vielleicht wurde ich ja in meiner Kindheit und Jugend indoktriniert, hauptsächlich von katholischen Geistlichen und mindestens ebenso engagierten „Laien“. Mir gefiel die „Frohe Botschaft“ des Christentums so sehr, dass ich mit 14 ein Lied schrieb, welches noch heute von Jungscharkindern landauf, landab gesungen wird: „Es ist schön, solche Freunde zu haben …“

Später studierte ich Theologie, bis kurz vor der Diplomprüfung. Mittlerweile glaube ich nicht mehr an einen historischen Jesus (die Quellen sind äußerst dürftig); oder nicht mehr, als an einen realen Perry Rhodan oder James T. Kirk; oder, dass jemals tatsächlich Frauen namens Dornröschen, Aschenputtel oder Schneewittchen gelebt haben. Aber die Geschichten, die über sie erzählt werden … Daran glaube ich. Denn es sind gute, tröstliche, aufbauende Geschichten.

An der Geschichte vom Jesuskind gefiel und gefällt mir, dass sie die Nöte der Allerärmsten thematisiert. Maria und Josef – der nicht der leibliche Vater ist – bekommen kein menschenwürdiges Quartier, sondern nur prekären Unterschlupf in einem stinkigen Viehstall, neben Ochs und Esel. Bald darauf müssen sie nach Ägypten aufbrechen, aus Angst vor Herodes, als völlig mittellose Flüchtlinge … usw.

Als Jesus (in dieser wunderbaren Story) erwachsen ist und zurück in Judäa, verkündigt er einige der tollsten Sätze der Literaturgeschichte. Er erklärt sich zum „Sohn Gottes“, und alle anderen Söhne und Töchter gleich mit. Er überwindet das alttestamentarische Prinzip der Vergeltung bzw. Entschädigung („Auge um Auge, Zahn um Zahn“), und bietet stattdessen den Gedanken der Nächstenliebe an. Jesus von Nazareth solidarisiert sich mit den Schwächsten: „Was ihr dem geringsten meiner Geschwister antut, das habt ihr mir angetan.“ (Mt 25,41)

So.

Die führenden Protagonisten der neuen österreichischen Regierung beziehen sich gern auf „unsere Werte“. Der eine oder andere fuchtelt dabei auch schon mal mit einem Holzkreuz herum. Allerdings befürchte ich, dass sie nicht verstanden haben, oder vielmehr nicht verstehen wollen, worin „unsere christlichen Werte“ im Kern bestehen.

Für mich: Liebe deine jeweils Nächsten, wie auch dich selbst. Egal, wer oder was oder wo du bist, und egal, wie oder als wer sie dir ins Blickfeld laufen. Sie sind deine Nächsten. Gestehe ihnen dieselbe Menschlichkeit, dieselbe Humanität, mindestens dasselbe positive Potenzial zu wie dir selbst.

Im aktuellen Regierungsprogramm finde ich nichts davon. Im Gegenteil: Es strotzt vor Misstrauen gegen die Ärmsten, vor mehr oder weniger verschwurbelt angekündigten Maßnahmen zur Abwehr jeglicher Fremden, jeglicher Vermeidung geistiger Inzucht. Der Jesus aus jener Geschichte, die ich so liebe, würde diese Geisteshaltung zutiefst ablehnen.

[Liest das hier eigentlich noch irgendjemand?]

Falls doch, möchte ich – als deklarierter Atheist – trotzdem alle, die wie ich von der frohen Botschaft des Christentums geprägt sind, dazu aufrufen, gegen den schändlichen Missbrauch „unserer Werte“ Position zu beziehen. Herr Kardinal, die Herren Bischöfe, die Herren Pfarrer und Kapläne, liebe Pfarrersköchinnen und Jungscharführer_innen – ihr seid gefragt und gefordert!

Was in unserem schönen Land gerade vorbereitet wird, ist erstens perfid, zweitens dumm und vor allem drittens: alles andere als „christlich“. Man fantasiert eine Bedrohung herbei (und manipuliert dafür auch mal, weil’s sonst nicht passen würde, wissenschaftliche Studien), bloß um an die Töpfe der Macht zu gelangen. Ohne Rücksicht auf die Kollateralschäden. Einer der lautesten Gröler skizziert bereits Flüchtlingsghettos am Stadtrand von Wien, sinngemäß: Konzentrationslager.

Herr Kardinal, die Herren Bischöfe, die Herren Pfarrer und Kapläne, liebe Pfarrersköchinnen und Jungscharführer_innen – wollt ihr das wirklich mittragen, und später vor euren Kindern verantworten müssen?

Wie gesagt, ich kann mich irren. Ich habe mich schon oft geirrt.

Ich gebe zu, dass ich mit meiner Einschätzung der neuen Regierung total falsch liegen könnte. Vielleicht sind die wesentlichen Personen viel schlauer, viel erfahrener und gebildeter als ich.

Vielleicht wollen sie ja nur unser Bestes. Aber bitte erlaubt mir zu proklamieren: Ich werde es ihnen nicht geben, unser Bestes. Nicht zum Missbrauch preisgeben. Unsere Geschichten, unsere Hoffnungen. „Unsere Werte“. Nicht ohne Widerstand. Mit allem, was ich, alt und auch schon ein bisschen müde, noch dagegen aufzubringen vermag.

Gleichwohl, liebe Leute, liebe Menschenkinder, ob gläubig oder nicht: Frohe Weihnachten! Und einen guten Rutsch ins neue Jahr – was auch immer es uns bringen wird.

Leo Lukas, Kabarettist, Schriftsteller und Regisseur
19.12.2017